Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
---|---|
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesausschuss |
Beschlossen am: | 12.12.2020 |
Eingereicht: | 16.12.2020, 10:34 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Freiwilligendienste jetzt stärken!
Beschlusstext
Mehr als 90.000 Jugendliche und junge Erwachsene engagieren sich jedes Jahr im
Freiwilligen Sozialen (FSJ) oder Ökologischen Jahr (FÖJ), im
Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder in den internationalen, europäischen und
entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten. Seit der Einführung der
Freiwilligendienste mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr vor über 50 Jahren wurden
Strukturen geschaffen, die für junge Menschen abseits von lohnabhängigen
Beschäftigungsverhältnissen Möglichkeiten schaffen, sich persönlich
weiterzuentwickeln und zu orientieren.
Die angebotenen Stellen für Freiwillige bieten vielfältige Möglichkeiten,
soziale und berufliche Kompetenzen zu erwerben und verschiedene soziale und
kulturelle Bereiche kennenzulernen. Neben beruflicher Qualifizierung liegt der
Fokus auf Persönlichkeitsentwicklung, Identitätsbildung und Empowerment der
Freiwilligen. Dabei müssen die Interessen und Bedürfnisse der Freiwilligen im
Vordergrund stehen.
Der Doppelcharakter von Bildungsjahr und Orientierungsjahr auf der einen Seite
und die Übernahme von sozialer Verantwortung und gemeinwohlorientiertem Handeln
auf der anderen Seite machen somit den konzeptionellen Kern dieser
Freiwilligendienste aus.
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen wir allen jungen Menschen ermöglichen, einen
Freiwilligendienst zu absolvieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die
Freiwilligendienste an den Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen
orientiert zukunftsfähig aufgestellt werden. Dafür sehen wir folgende
Leitplanken:
- Einsatzstellen im Freiwilligendienst sind keine Arbeitsplätze!
Freiwillige dürfen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Wir setzen
uns für die arbeitsmarktneutrale Umsetzung der Freiwilligendienste ein. Es gilt
zu verhindern, dass durch eine mangelhafte Arbeitsmarktneutralität von
Freiwilligendiensten prekäre Lohn- und Beschäftigungsverhältnisse geschaffen
werden. Die Tätigkeiten dürfen nicht den Charakter eines klassischen
Arbeitsverhältnisses annehmen und nicht in Konkurrenz zu Arbeitsplätzen stehen.
Es muss auch sichergestellt werden, dass Freiwillige keine professionellen
Fachkräfte im pflegerischen, pädagogischen und im sonstigen Bereich ersetzen.
Wir setzen uns dafür ein, den freiwilligen Charakter der Freiwilligendienste
deutlich herauszustellen. Junge Freiwillige bedürfen des besonderen Schutzes und
der besonderen Fürsorge. Arbeitszeiten und Einsatzstellen müssen so ausgestaltet
werden, dass der Charakter der Freiwilligkeit gewahrt bleibt.
- Persönlichkeitsbildung darf kein Luxusgut sein!
Sinn und Zweck eines Jugendfreiwilligendienstes ist nicht der Tausch von
Arbeitskraft gegen Entgelt. Engagement erfolgt hier grundsätzlich ohne die
Erwartung einer angemessenen Arbeitsvergütung. Das Vollzeitengagement in
Jugendfreiwilligendiensten muss aber für junge Menschen unabhängig von ihrer
sozialen Herkunft möglich sein. Das „Taschengeld“ ist so zu bemessen, dass es
hierfür die notwendige Grundlage bieten kann, es darf nicht auf Hartz4-Bezüge
der Eltern angerechnet werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass
Freiwilligendienstleistende kostenlos den ÖPNV nutzen können, um nicht durch
Kosten für die Anfahrt und den Heimweg vom Einsatzort belastet zu werden.
- Freiwilligendienste sind kein arbeitsmarktpolitisches Instrument!
Der BFD und die Jugendfreiwilligendienste sind nicht geeignet, jungen Menschen
als „Übergangslösung“ mangels des gewünschten Ausbildungs- oder Hochschulplatzes
angedient oder aufgedrängt zu werden. Freiwilligendienste müssen ein Lern- und
Orientierungssangebot bleiben und müssen deshalb weiter auf
Arbeitsmarktneutralität angelegt bleiben. Bei der Weiterentwicklung des
Europäischen Freiwilligendienstes zum Europäischen Solidaritätskorps wurde
dieser Grundsatz allerdings verwässert. Diese Fehlentwicklung gilt es zu
korrigieren.
- Selbstbestimmtes Lernen ermöglichen.
Die Freiwilligendienste sehen wir als Lern- und Orientierungsorte an. Die Lern-
und Orientierungsangebote müssen an den Bedürfnissen der jungen Freiwilligen
ausgerichtet sein. Die Bildungsseminartage sind entsprechend der Bedürfnisse der
jungen Menschen über die freien Träger zu organisieren. Freiwillige sollen –
sowohl in den Einsatzstellen, als auch bei Seminartagen – die Möglichkeit für
Teilhabe und Mitbestimmung erhalten. So können Freiwillige in ihrem
Freiwilligendienst Selbstwirksamkeit erfahren. Dadurch kann auch
gesellschaftliche und soziale Verantwortung befördert werden.
- Kein Konkurrenzkampf auf dem Rücken der jungen Menschen!
Die Prinzipien der Selbstorganisation von freien Trägern und die Subsidiarität
der Zivilgesellschaft setzt eine gleichberechtigte Förderung in den
Freiwilligendiensten voraus. Solange die bisherigen unterschiedlichen
Förderansätze gelten, werden die aus der Zivilgesellschaft hervorgegangenen
Jugendfreiwilligendienste gegenüber dem Bundesfreiwilligendienst benachteiligt.
Deshalb gilt es, die Förderung aller nationalen Freiwilligendienste so
anzugleichen, dass sowohl den Trägern, den Einsatzstellen, wie den jungen
Interessent*innen an einem Freiwilligendienst auch unter Berücksichtigung
ökonomischer Gesichtspunkte eine wirklich freie Wahl möglich ist.
- Die Marke „Freiwilligendienst“ nicht missbrauchen!
Die Bundeswehr bedient sich mit dem neu geschaffenen „Freiwilligendienst im
Heimatschutz“ des Renommees der etablierten Freiwilligendienste und untergräbt
damit deren Grundsätze wie eine zivilgesellschaftliche Trägerschaft und den
Fokus auf persönliche Entwicklung und Orientierung junger Menschen, die in einer
militärischen Ausbildung zu kurz kommen. Während Freiwilligendienstleistende
monatlich ca. 300 Euro Taschengeld erhalten, beziehen Dienstleistende des
„Freiwilligendienstes im Heimatschutz“ eine Vergütung von ca. 1.550 Euro –
freiwilliges Engagement lässt sich aber nicht mit einem Arbeitslohn vereinbaren.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, im Rahmen ihrer eigenen Aktivitäten
die Begrifflichkeit des Freiwilligendienstes nicht zu missbrauchen, um
Personalgewinnung für die Bundeswehr zu betreiben.
- Gesellschaftliches Engagement lässt sich nicht verordnen!
In den regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen über eine Dienstpflicht für junge
Menschen wird immer wieder die Bedeutung für das soziale Zusammenleben, die
Versorgung unterstützungsbedürftiger Menschen und der sozialerzieherische Effekt
herausgestellt. Der Staat kann Engagement und Freiwilligendienste durch mehr
Anerkennung unterstützen, aber der Weg zu mehr Solidarität und Gemeinsinn führt
nur über Freiwilligkeit. Ein Pflichtdienst ist zudem keine passende Antwort auf
die Herausforderungen des Fachkräftemangels im Gesundheits- und Pflegebereich.
Die Freiwilligendienste dürfen hier nicht verzweckt werden. Ein Pflichtdienst
kann und darf kein Ersatz für professionelle Tätigkeiten in diesen Bereichen
sein. Deshalb wollen wir einen qualitativen Ausbau der Freiwilligendienste und
damit mehr jungen Menschen ermöglichen, sich aus eigenem Antrieb und aus freien
Stücken für ein gesellschaftliches Engagement entscheiden zu können Inklusion
muss deshalb in den Freiwilligendiensten in allen Dimensionen möglich gemacht
und entsprechend gefördert werden.