Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesausschuss |
Beschlossen am: | 12.12.2020 |
Eingereicht: | 16.12.2020, 11:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Immer besser statt immer mehr: Reisen nachhaltig machen
Beschlusstext
Die Corona-Pandemie ist eine Zäsur für den Tourismus. Die Tourismusbranche in
Deutschland und in Bayern ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 2019 vermeldete
der Tourismus das zehnte Rekordjahr in Folge. Die wirtschaftlichen Einschnitte
infolge der Pandemie sind nun aber dramatisch: Die Umsatzeinbußen der Branche
gehen in die Milliarden. Unzählige touristische Unternehmen haben bereits
aufgegeben oder sind in existentieller Not. Tausende insbesondere geringfügig
Beschäftigte haben ihre Arbeitsstellen verloren, hunderttausende Beschäftigte
sind in Kurzarbeit. Auch wenn es einzelne Lichtblicke gibt – beispielsweise in
der Campingbranche – ist klar: Die Tourismusbranche insgesamt wird sich nach der
monatelangen Corona-bedingten Zwangspause nicht schnell erholen. Notwendige
Hygienemaßnahmen erlauben für viele nur ein eingeschränktes Angebot – auf nicht
absehbare Zeit. Es ist auch völlig offen, wann ausländischen Gäste, eine für
viele Destinationen und touristische Angebote wichtige Gruppe, wieder in
gewohnter Anzahl einreisen werden.
Deswegen waren und sind die umfassenden Corona-Hilfen des Bundes und des
Freistaats zwingend notwendig, um die Tourismusbranche in der dramatischen
Situation des Pandemie-bedingten Shutdowns zu unterstützen und
Verbraucher*innen, Tourismusunternehmen und Reiseregionen zu entlasten. Wir
Grüne setzen uns sogar für weitergehende finanzielle Hilfen für den Tourismus
ein, beispielsweise durch zusätzliche Unterstützung für Solo-Selbstständige oder
in Form eines Rettungsfonds, der zunächst aus Bundesmitteln finanziert und nach
der Krise von den unterschiedlichen touristischen Unternehmen wieder gefüllt
werden soll. Von dieser passgenauen Lösung würden insbesondere Reisebüros und
Reiseveranstalter profitieren, die in den letzten Monaten nicht nur ausbleibende
Provisionen, sondern sogar einen negativen Cashflow beklagten. Klar ist für uns
aber auch: Die Corona-Hilfen sind kein Freifahrtschein für ein „Weiter so“.
Trotz der verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen ist die Corona-Pandemie
auch eine Chance für den Tourismus. Als beliebtestes Bundesland bei inländischen
und ausländischen Tourist*innen hat Bayern vor der Pandemie mit 20 Prozent den
größten Anteil zur touristischen Wertschöpfung in Deutschland beigetragen. Wir
wollen, dass die Tourismusbranche in Bayern zu dieser Stärke zurückkehrt – wenn
auch auf einem anderen Weg. Der wochenlange Shutdown hat Einheimischen auch den
Unterschied ihrer Heimat mit und ohne massenhaften Tourismus deutlich vor Augen
geführt und so den Wunsch nach einem sanften und soziokulturell verträglichen
Tourismus verstärkt. Gleichzeitig entdeckten viele Menschen die Schätze der
Natur und suchten Ruhe und Erholung „daheim“ statt in der Ferne. Jetzt können
die Weichen neu gestellt werden – weg von „immer mehr“ und einem einseitigen
Fokus auf Übernachtungsrekorde hin zu einem nachhaltigen Tourismus. Uns geht es
um ganzjährige Auslastung von Infrastruktur statt kurzzeitiger Spitzen. Uns geht
es um ein gesundes Miteinander von Mensch und Natur, von Einheimischen und
Besucher*innen.
Der Tourismus braucht einen Paradigmenwechsel. Freizeit, Erholung und Urlaub
sind überaus wichtig. Reisen entspannt nicht nur. Es bildet auch. Die Menschen
wollen raus aus den eigenen vier Wänden, sie wollen an die frische Luft, sich
erholen und neue Energie tanken und sie wollen Neues und Anderes entdecken.
Tourismus darf aber nicht auf Kosten von Mensch, Natur und Klima gehen. Der
bayerische Tourismus ist nur dann zukunftsfähig, wenn er Akzeptanz vor Ort
schafft und unsere Regionen stärkt. Wir brauchen einen Wandel zum sanften,
nachhaltigen Tourismus, der die ökologischen, ökonomischen und sozialen
Auswirkungen berücksichtigt. Ressourcenschonung, lokale Wertschöpfung und faire
Arbeitsbedingungen müssen die Grundpfeiler eines zukunftsfähigen Tourismus sein.
Tourismus in die Breite tragen und Akzeptanz vor Ort schaffen
Bisher wird touristischer Erfolg an der Quantität gemessen. Immer weiter
steigende Ankunfts- und Übernachtungszahlen werden als Erfolge verbucht. Doch
die Zunahme von Konflikten, besonders an touristischen Hotspots in den Städten
und im Alpenraum, zeigt: Steigende Gästezahlen sind nicht alles.
Statt dieser Konflikte wollen wir den Tourismus in die Breite tragen. Bayern ist
vielfältig und bietet viele schöne Ecken! Wir könnten das touristische Potential
vor Ort viel besser nutzen. Dabei hilft eine kluge Besucher*innenlenkung, die
den Tourismus entzerrt und den Fokus auf alternative Reiseziele und weniger
bekannte Sehenswürdigkeiten in der Region lenkt. Wir sollten die Menschen dazu
ermutigen, weniger häufig, dann aber länger zu verreisen. Genuss und Erholung
statt hektischer Kurztrips.
Ein in die Breite getragener, nachhaltiger Tourismus stärkt unsere Regionen und
schafft lokale Wertschöpfung, auch in strukturschwachen und ländlichen Regionen.
Denn nachhaltiger Tourismus stärkt die einheimische Produktion, die regionale
Kultur und unterstützt lokale Unternehmen. Hotels und Unterkünfte können ihre
Lebensmittel regional beziehen, Reisende können die Veranstaltungen der
ortsansässigen Vereine besuchen, Souvenirgeschäfte können die Produkte des
lokalen Handwerks verkaufen.
Gleichzeitig brauchen auch die lokalen, kleinen und mittelständischen
Tourismusunternehmen Unterstützung, etwa wenn es darum geht, Barrierefreiheit
auszubauen, oder auch bei der Digitalisierung. Digitalisierte Prozesse können
nicht nur dazu beitragen, Bürokratieaufwand zu senken, sondern auch eine
gezielte Besucher*innenlenkung ermöglichen, die Wertschöpfung optimieren und
somit touristische Destinationen zukunftssicher machen. Wir müssen auch
diejenigen gezielt stärken, die häufig unter dem Radar bleiben, aber so wichtig
für die touristischen Strukturen in unseren Regionen sind: Zum Beispiel
Jugendherbergen, Schullandheime oder Gästeführer*innen. Für den Wandel zum
nachhaltigen Tourismus sind finanziell gut ausgestattete und handlungsstarke
Kommunen ausschlaggebend. Denn nur gut ausgebaute Freizeit- und Kulturangebote
wie Schwimmbäder, Parkanlagen, Museen und Theater in unseren Städten und
Gemeinden steigern die Attraktivität alternativer Reiseziele abseits der
Tourismus-Hotspots, und gleichzeitig profitieren auch die Bürger*innen in den
Regionen.
Nachhaltiger Tourismus wird vor Ort akzeptiert. Er fügt sich harmonisch in die
bestehenden Strukturen ein und zwingt sich Einheimischen nicht auf. Nachhaltiger
Tourismus fördert das Miteinander zwischen Einheimischen und Reisenden. Beide
Gruppen profitieren voneinander. Nachhaltiger Tourismus steigert die
Lebensqualität der Einheimischen. Deswegen ist es nur der erste Schritt, den
Tourismus in die Breite zu tragen. Insbesondere für Tourismus-Hotspots ist es
wichtig, wirksam zu verhindern, dass knapper Wohnraum zu Ferienwohnungen
zweckentfremdet und somit weiter reduziert wird.
Auch die Beschäftigten in der Tourismusbranche, insbesondere im Hotel- und
Gastgewerbe, dürfen nicht vergessen werden, wenn es darum geht, Tourismus vor
Ort zu akzeptieren und die Lebensqualität der Einheimischen zu steigern. Die
Beschäftigten brauchen faire Arbeitsbedingungen und ausreichend bezahlbaren
Wohnraum. Neben sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen und angemessenen
Löhnen muss auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht werden –
trotz herausfordernder Arbeitszeiten.
Umweltfreundliche Mobilität fördern und Ressourcen schonen
Nachhaltiger Tourismus ist umweltschonend – bei der An- und Abreise sowie der
Mobilität vor Ort. Umweltfreundliche touristische Mobilität ist bequem,
preisgünstig und verlässlich. Für eine umweltfreundliche An- und Abreise muss
das Nachtzugnetz wiederbelebt und europäisch ausgebaut werden. Die Reisenden in
Bayern sollen nicht auf ein eigenes Auto angewiesen sein – weder in der Stadt
noch im ländlichen Raum. Deswegen brauchen wir eine nahtlose Verknüpfung von
Schienenfernverkehr und Fernbus, Fahrrad, öffentlichem Nahverkehr und neuen
Mobilitätsangeboten. Wir Grüne wollen, dass der Freistaat beim Regionalverkehr
auf der Schiene touristische Bedarfe stärker berücksichtigt. Und wir fordern,
Kommunen bei der Erarbeitung und Umsetzung passender, umweltfreundlicher
Mobilitätslösungen zu unterstützen. Dazu gehören ein zuverlässiger Nah- und
Fernverkehr, Sharing-Angebote wie Leihräder, E-Roller und E-Autos – nicht nur in
Ballungszentren, sondern insbesondere im ländlichen Raum. Gut ausgebaute
Mobilitätsangebote sind entscheidend, wenn Menschen das Auto stehen lassen und
trotzdem neue Orte in Bayern entdecken wollen.
Attraktiver öffentlicher Nahverkehr ist zeitgemäß, modern und digitalisiert. Das
gilt auch für die Infrastruktur: Neben Zügen und Bussen müssen auch Bahnhöfe und
Bushaltestellen barrierefrei werden. Tarifsysteme müssen nicht nur einfacher
werden, sie müssen sich auch mit anderen umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten
wie Leihrädern einfach kombinieren lassen und überregional gültig sein. Tickets
und Fahrpläne müssen online gekauft und eingesehen werden können. Für eine
umweltschonende Reisevorbereitung müssen auch Informationen einfach zugänglich
sein. Zusammen mit einer attraktiven Preisgestaltung wird dadurch das Umsteigen
vom Auto auf den ÖPNV unterstützt.
Insbesondere in den Großstädten und Ballungsräumen machen Geschäftsreisende
einen großen Anteil an der touristischen Wertschöpfung aus. In Corona-Zeiten ist
der Messe-, Kongress- und Geschäftstourismus weitgehend zum Erliegen gekommen.
In dieser Zeit der Unsicherheit müssen wir Messestandorte dabei unterstützen,
das Segment zu erhalten. Doch auch hier ist eine Transformation möglich und
wichtig: Messestandorte sind in der Regel gut ans Bahnnetz angeschlossen. Die
Anreise mit dem Flugzeug ist oft unnötig, ökologisch verheerend und sollte wo
immer möglich vermieden werden. Wir brauchen für Geschäftsreisende keine
weiteren Startbahnen oder Subventionen für den Flugverkehr, sondern ein
attraktives, schnelles europäisches Schienennetz und eine komfortable Bahn-
Infrastruktur, die entspanntes und gleichzeitig klimafreundliches Reisen
erleichtert und erschwinglich macht.
Auch der schonende und effiziente Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist
Bestandteil eines zukunftsfähigen Tourismus – nicht nur bei der Mobilität,
sondern auch bei Unterkunft und insbesondere bei der Verpflegung. Müll,
Einweggeschirr und -besteck müssen so weit wie möglich vermieden werden.
Plastikverpackungen müssen auf das Nötigste begrenzt werden. Auch mit unbebauten
Flächen muss schonend umgegangen werden.
Naturtourismus stärken und umweltschädlichen Tourismus transformieren
In Pandemie-Zeiten, in denen die Gesundheit besonders gefährdet ist, zeigt sich
ein Trend zum gesundheitsfördernden Naturtourismus. Die Nachfrage nach
Radfahren, Wandern, Kanutouren, Klettern oder einfachen Aufenthalten in der
Natur ist in Corona-Zeiten riesig. Naturtourismus kann sich positiv auf die
Gesundheit der Reisenden auswirken, sollte aber auch förderlich für Umwelt und
Klima sein. Der Trend zu Rad-, Wander- oder Campingurlauben in Pandemie-Zeiten
bietet die Chance, Naturtourismus als nachhaltige und zukunftsfähige Reiseform
auch langfristig durch entsprechende Förderung zu stärken. Dafür müssen
insbesondere die Radwege deutlich stärker ausgebaut werden.
Doch je mehr Menschen in die Natur strömen und sensible Ökosysteme besuchen, ist
es gleichzeitig umso wichtiger über ökologische Schätze aufzuklären, zu
sensibilisieren und Besucher*innen zu lenken. Nutz- und Schutzzonen müssen
etabliert und durchgesetzt werden. Umweltbildung stellt eine tragende Säule
eines naturnahen Tourismus dar. Um das immer beliebtere Wildcampen in freier
Natur einzudämmen, wollen wir legale Trekking- und Biwakplätze in geeigneten
Regionen etablieren. Die bessere Förderung von Natur- und Nationalparks sowie
Biosphärenreservaten unterstützt die Möglichkeiten zu Aufklärung und
Sensibilisierung.
Neben dem Naturtourismus braucht auch der naturverträgliche Gesundheitstourismus
beispielsweise in Gestalt von strukturierten medizinischen Angeboten (z.B.
Heilbädern oder Kurorten) eine gezielte Stärkung. Denn auch der
Gesundheitstourismus trägt zum Wohlbefinden und zur Gesundheit der Reisenden
bei.
Wir wollen, dass auch die aktuell noch umweltschädlichen Tourismusformen im 21.
Jahrhundert ankommen. Flusskreuzfahrtschiffe beispielsweise müssen an
bayerischen Anlegern konsequent Landstromkabelversorgung bekommen und
perspektivisch komplett auf erneuerbare Antriebsformen umgestellt werden. Im
Wintertourismus beenden wir die Förderung von weiteren Beschneiungsanlagen.
Statt an der Vergangenheit zu klammern und mit Steuergeldern Anreize für
millionenschwere Abhängigkeiten zu schaffen, wollen wir unsere Tourismus-
Destinationen auch in Zeiten des Klimawandels zukunftssicher aufstellen.
Grüne Förderpolitik setzt auf umweltverträgliche und ressourcenschonende
Tourismusangebote. Grüne Politik schafft Lösungen, die Gäste und Einheimische
versöhnen. Grüne Politik schützt die Natur, aber macht sie für alle in unserer
Gesellschaft erlebbar. Grüne Politik setzt auf Regionalität und entspanntes
Reisen. Kurz: Wir wollen, dass Urlaub das ist, was er sein sollte: Entspannung,
Kraft tanken und wundervolle Erlebnisse – heute und in der Zukunft!