Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Digitaler Parteitag (LDK) |
Beschlossen am: | 14.11.2020 |
Eingereicht: | 16.11.2020, 11:54 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Mit Corona leben – Weitsichtige und klare Regelungen für den Umgang mit der Pandemie
Beschlusstext
Die ganz große Mehrheit der Bürger*innen Bayerns – Junge wie Alte - nimmt ihre
Verantwortung für sich und für die Gesamtgesellschaft sehr ernst. Indem sie ihre
persönlichen Kontakte einschränken und sich an die Hygieneregeln halten,
bezeugen die Menschen den großen Zusammenhalt unseres Landes. Doch trotz dieses
hohen Maßes an individueller Verantwortung In der Pandemie war Ende Oktober
schnelles Handeln geboten. Am 28.10.2020 haben Bund und Länder genau das getan.
Angesichts exponentiell steigender Infektionszahlen, drohender Engpässe bei der
Zahl verfügbarer intensivmedizinischer Kapazitäten, Laborengpässen und einer
zunehmenden Überlastung der Gesundheitsämter bei der Rückverfolgung von
Infektionsketten gilt es jetzt, den Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen,
eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern und Menschenleben zu
retten. Dafür ist es notwendig, dass alle ihre physischen Kontakte massiv
reduzieren.
Die Bayerischen GRÜNEN haben die Politik der Staatsregierung zur Eindämmung der
Pandemie von Anfang an konstruktiv und kritisch begleitet. Viele Maßnahmen - wie
die Unterstützung von Soloselbständigen und Künstler*innen oder wie das
Offenhalten von Kitas und Schulen soweit als möglich – wurden erst auf unseren
massiven Druck hin umgesetzt. Auch jetzt tragen die Bayerischen GRÜNEN die
getroffenen Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von COVID-19 notgedrungen
mit. Notgedrungen, weil die Staatsregierung die Zeit über den Sommer nicht
genutzt hat, um unser Land auf die zweite Welle vorzubereiten, von der alle
wussten, dass sie kommt. Unsere Zustimmung zum Wellenbrecher-Lockdown ändert
deshalb nichts an der berechtigten Kritik an der Untätigkeit der
Staatsregierung.
Vertrauen stärken mit Transparenz und Beteiligung
Die Corona-Pandemie hat monatelange massive Grundrechtseinschränkungen,
Eingriffe in das öffentliche Leben und die öffentliche Infrastruktur notwendig
gemacht – und macht es noch immer. Die tiefen Einschnitte in das
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben Bayerns haben oft gravierende
Folgen für zahllose Mitglieder unserer Gesellschaft. Und es ist feststellbar,
dass über ein halbes Jahr nach dem Beginn der Epidemie die Bereitschaft der
Menschen langsam aber stetig abnimmt, die immer wieder ad hoc von der
Staatsregierung getroffenen Maßnahmen vollumfänglich mitzutragen. Die Gründe
dafür sind offensichtlich: Nur wer die Corona-Regeln kennt und versteht, hält
sich daran. Und nur wenn über die Regeln und ihre Wirksamkeit diskutiert werden
kann, werden sie auch akzeptiert. Tatsächlich aber werden bisher alle Maßnahmen
im Hinterzimmer der Staatskanzlei ausgehandelt. Selbst medizinische Fachverbände
werden nicht ausreichend eingebunden.
Das muss sich ändern. Deshalb ist es höchste Zeit, die Debatte über konkrete
Maßnahmen wieder ins Parlament zu holen Der Bayerische Landtag ist der mit
Gesetzgebungskompetenz ausgestattete verfassungsmäßige Ort der Diskussion und
Entscheidung über politische Maßnahmen und der Kontrolle der Staatsregierung.
Insbesondere Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen und zum Teil erhebliche
Auswirkungen auf das tägliche Leben haben sowie Maßnahmen, die längerfristig
gelten sollen, müssen durch das Parlament diskutiert und entschieden werden. Nur
durch eine sorgsame und öffentliche parlamentarische Abwägung können das
Vertrauen und die Akzeptanz der Bürger*innen in staatliches Pandemiehandeln
dauerhaft gesichert werden. Gerade in Krisen bewährt sich unser Rechtsstaat.
Demokratische Institutionen und Abstimmungsprozesse sind seine Stärke, keine
Schwäche.
Um Kontrolle, Grundrechtsabwägungen und öffentliche Debatte zu gewährleisten und
damit das Vertrauen der Bürger*innen in die bayerische Coronapolitik dauerhaft
zu stärken fordern die Bayerischen GRÜNEN:
- Corona-Schutzmaßnahmen gesetzlich regeln
Mit einem Corona-Maßnahmengesetz werden wirksame Rahmenvorgaben geschaffen,
sowohl mit Blick auf das Verfahren als auch bezüglich der zu treffenden
konkreten Maßnahmen des Infektionsschutzes. Inhalt dieses Gesetzes ist zum einen
die Einforderung klarer Ziele für konkrete Infektionsschutzmaßnahmen, an denen
sich auch deren Erfolg und Zulässigkeit messen lässt, zum zweiten verständliche
Grundregeln, die für alle gelten und zum dritten klare Vorgaben für die
Staatsregierung, welche Details sie regeln darf. Zudem gewährleistet das Gesetz
eine volle Transparenz über die Entscheidungsgrundlagen der Staatsregierung,
umfassende Mitbestimmungsrechte des Landtags und eine fortlaufende Evaluation
aller Maßnahmen gegen die Krise. Eine gesetzliche Grundlage für konkrete
Ermächtigungen stärkt nicht nur die Rechtssicherheit. Durch die öffentliche
Debatte im Parlament und die Abwägung der Maßnahmen im Hinblick auf die
Grundrechtseingriffe würde auch die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung
gesteigert werden.
- Parlamentarische Corona-Kommission einrichten
Die Corona-Kommission soll als fachübergreifendes parlamentarisches Gremium die
Debatten im Bayerischen Landtag zu den verschiedenen Aspekten zur Bekämpfung der
Corona-Pandemie bündeln, interdisziplinär führen und zur Auswertung der
öffentlichen Krisenbewältigung beitragen. Sie befasst sich in wöchentlichen
öffentlichen Sitzungen mit den Auswirkungen der Pandemie auf alle
gesellschaftlichen Bereiche und legt Handlungsempfehlungen zum Umgang mit den
sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie vor. Damit wird der
parlamentarische Diskurs deutlich gestärkt und Entscheidungen des
Landtagsplenums vorbereitet. Durch das Herbeiziehen von Wissenschaftler*innen
ist zudem gewährleistet, dass politische Entscheidungen wissenschaftlich
fundiert getroffen werden können.
- Corona-Bürgerforum schaffen
Gerade weil die Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie der bayerischen
Bevölkerung viel abverlangen und den sozialen Zusammenhalt immer wieder auf die
Probe stellen, wollen wir die Bürger*innen stärker beteiligen und mehr
Transparenz schaffen. Denn ein hohes Akzeptanzniveau und eine klare Haltung
gegen Coronaleugner*innen und Verschwörungsmythen erhalten wir nur mit einer
Politik des Gehörtwerdens. Die Anpassung der Schutzmaßnahmen wollen wir deshalb
durch unterschiedliche Beteiligungsformate wie Online-Konsultationen oder lokale
Bürgerforen flankieren. Diese Beteiligungsverfahren könnten durch eine*n
unabhängige*n Bürgerbeauftragte*e koordiniert und unterstützt werden. Durch ein
Corona-Bürgerforum wollen wir die Erfahrungen und die Lebenswelt der
Bürger*innen in die Corona-Politik Bayerns einbeziehen. Dabei erhalten
ausgeloste, für die Bevölkerung repräsentative Bürger*innen die Möglichkeit,
Pläne und Maßnahmen zu diskutieren und abzuwägen.
Die Menschen mitnehmen mit klaren Konzepten
Die bayerischen Bürger*innen werden noch lange mit der Pandemie leben müssen.
Die Einschränkungen, die jetzt getroffen werden, dürfen aber nicht nochmals
passieren, einen dritten oder vierten Lockdown wollen wir verhindern. Deshalb
gilt es jetzt, die Phase des Herunterfahrens zu nutzen und ein Plan zu
erarbeiten, um unser Land für ein Leben mit der Pandemie bis einen Impfstoff
oder Medikamente gibt, vorzubereiten. Dafür braucht Bayern mittel- bis
langfristig belastbare und differenzierte Konzepte für den Umgang mit sinkenden,
aber auch mit steigenden Infektionszahlen.
Den Lockdown und die anschließende Phase eines Winters unter Pandemiebedingungen
können wir als Gesamtgesellschaft nur dann bewältigen, wenn wir die Menschen
dabei mitnehmen. Als wesentliche Eckpunkte, damit wir gemeinsam gut durch die
Coranakrise kommen, fordern die Bayerischen GRÜNEN:
- Infektionswege nachvollziehbar machen
Wenn 75 Prozent der Infektionen in ihrem Ursprung nicht zugeordnet werden
können, dann muss die Konsequenz sein, mehr Wissen und Daten über das Virus zu
gewinnen, um seine Verbreitungswege besser einschätzen zu können. Diese
Informationen sind die zentrale Voraussetzung, damit die Infektionsrisiken
gesenkt und die Pandemie gezielter bekämpft werden können. Deshalb müssen die
Gesundheitsämter personell, technisch und digital dringend und schnell besser
ausgestattet werden. Wir brauchen eine bayerische Teststrategie, die bei
begrenzten Kapazitäten prioritär diejenigen testet, die mit Risikopersonen zu
tun haben oder in Quarantäne sind. Testungen müssen so effizient durchgeführt
werden, dass jede Person, für die Quarantäne verhängt wird, spätestens am
Folgetag getestet werden kann und das Ergebnis innerhalb von 24 Stunden
vorliegt. Zudem muss in wissenschaftliche Studien investiert werden, um
herauszufinden, an welchen Orten sich die Menschen verstärkt infizieren. Nur mit
diesem Wissen kann es einen planbaren und weitsichtigen Weg durch die kalte
Jahreszeit geben.
- Mittel für Betroffene umfassend und unbürokratisch bereitstellen
Unsere Gesellschaft beweist sich durch echte Solidarität. Solidarität mit denen,
die jetzt ermöglichen, dass Schulen, Kitas und Geschäfte geöffnet bleiben.
Solidarität mit Künstler*innen, Inhaber*innen und Beschäftigten der
Gastrobetriebe, mit Solo-Selbstständigen, Startups und viele anderen. Für die
Betroffenen und deren Mitarbeiter*innen geht es um ihre Arbeitsplätze und in
nicht wenigen Fällen um ihre wirtschaftliche Existenz. Sie brauchen entschiedene
finanzielle Unterstützung, die auch wirklich ankommt, damit die Pandemie nicht
immer mehr zur gesellschaftlichen Zerreißprobe wird. Und es geht um den Erhalt
unserer vielfältigen Kultur in Bayern – die Bühnen dürfen nicht dauerhaft leer,
die Vorhänge nicht dauerhaft geschlossen bleiben. Die von der Bundesregierung in
Aussicht gestellten Mittel müssen deshalb allen Betroffenen schnellstmöglich,
lückenlos und so unbürokratisch wie nur irgendwie möglich zur Verfügung gestellt
werden. Zudem ist die Staatsregierung in der Pflicht, das kulturelle Leben in
unseren Städten und Gemeinden auch unter Pandemiebedingungen lebendig zu halten,
entstandene Lücken in der Kulturszene schnellstmöglich wieder zu schließen und
für das Wiederauferstehen unserer Kultur den Kommunen die nötigen Mittel
bereitzustellen. Es ist gut dass nach langem Kampf die Bayerische
Staatsregierung für Künstler*innen den Unternehmerlohn von 1180 Euro zur
Verfügung stellen will. Für uns Grüne ist klar: Analog zu Baden-Württemberg muss
der fiktive Unternehmerlohn für alle Selbständige gelten. Sie hatten vor der
Pandemie ein funktionierendes Geschäftsmodell und müssen dementsprechend
unterstützt werden.
- Risikogruppen besser schützen
Patient*innen in Kliniken sowie Bewohner*innen von Langzeitpflegeeinrichtungen
leiden in besonderem Maße unter stark eingeschränkten Besuchsregelungen. Es geht
darum Menschen aus Risikogruppen einerseits besser zu schützen, ihnen
andererseits aber soziale Nähe innerhalb der Einrichtungen und durch Besuche von
außen zu ermöglichen. Deshalb fordern wir einen Anspruch auf kostenlose
Antigenschnelltests und hochwertiges Schutzmaterial für alle in Kliniken und
Pflegeeinrichtungen betreuten, behandelten oder untergebrachten Personen sowie
für alle Besucher*innen vor dem Kontakt mit der betreuten oder behandelten
Person. Das gleiche gilt für Personen, die in Asylbewerberunterkünften, in
Einrichtungen der Behindertenpflege, in Einrichtungen der zwangsweisen
Unterbringung von Jugendlichen oder Erwachsenen oder im Strafvollzug leben oder
arbeiten. Besser geschützt werden müssen aber auch vulnerable Personen außerhalb
von Einrichtungen, damit sie mit möglichst geringem Risiko am öffentlichen Leben
teilhaben können. Dazu gehören beispielsweise die kostenfreie Ausstattung mit
FFP2-Masken, reservierte Öffnungszeiten in öffentlichen Einrichtungen und ein
Anspruch auf Homeoffice. Zudem sind Menschen in Krisensituationen zu
unterstützen, damit alle, die Hilfe brauchen, auch Hilfe finden.
Selbsthilfegruppen insbesondere in den Akutbereichen psychischer Erkrankungen
und Suchtverhalten müssen sich unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln
weiter persönlich treffen können. Hilfsangebote für Menschen in
Krisensituationen („Lockdown-Depression, Familienstreitigkeiten, Hilfe für
Frauen und Kinder etc.) müssen finanziell unterstützt werden.
- Kita- und Schulbetrieb sichern
Die Aufrechterhaltung des Kita- und Schulbetriebs ist pädagogisch und für die
soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen absolut wichtig. Deshalb
begrüßen wir, dass die Schulen und Kitas offenbleiben. Aber es sind dringend
bessere Schutzvorkehrungen nötig. Zum einen muss einfacher, umfassender und
regelmäßiger getestet werden, um Verdachtsfälle schnell abzuklären. Alle Schulen
und Kitas sollen deshalb die Möglichkeit erhalten, dass deren Mitarbeiter*innen
sowie Kinder und Schüler*innen wöchentlich kostenfreie Corona-
Antigenschnelltests machen können. Zum zweiten müssen endlich mobile
Entlüftungsanlagen in den Schulen, mehr Verstärkerbusse für den Schulweg und
eine passende digitale Ausstattung gewährleistet werden. Zum dritten ist auch
der Unterricht an die Pandemiebedingungen anzupassen, mit Rahmenrichtlinien für
Notenerhebung, für die konkrete Unterrichtsorganisation und mit
Lehrplankürzungen.
- Impfprioritäten transparent festlegen
Auch falls in absehbarer Zeit ein Impfstoff gegen den Corona-Virus zur Verfügung
stehen wird, wird Impfen ein knappes Gut sein. Deshalb muss in einer breiter
öffentlichen Debatte eine allgemeine Akzeptanz dafür geschaffen werden, welche
Gruppen bei der Impfung priorisiert werden. Als Leitlinie muss dabei gelten,
dass Infektionen mit schwerem Verlauf möglichst verhindert werden und
systemrelevant Beschäftige z.B. im Gesundheitswesen und der Pflege Vorrang
erhalten.
... damit die Infektionskrise Vertrauen in die Demokratie stärkt und
gesellschaftliche Solidarität wächst
Die Bekämpfung dieser Pandemie verlangt allen Bürger*innen Bayerns, unserer
gesamten Gesellschaft sehr viel ab. Die Bayerischen GRÜNEN wollen in dieser Zeit
den Menschen Sicherheit geben durch Transparenz, Beteiligung und klare Konzepte.
Unser Ziel ist, dass das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben mit
passgenauen Hygienekonzepten wieder stattfinden kann. Wir GRÜNEN sind überzeugt,
dass wir das gemeinsam schaffen werden, wenn wir solidarisch handeln und
füreinander einstehen.