Grundsätzliche Probleme von Onlinewahlen und -abstimmungen
Sowohl BAG und LAG Netzpolitik als auch die Netzbegrünung haben sich mehrfach aus guten Gründen gegen elektronische Abstimmungsverfahren, insbesondere Online-Verfahren, ausgesprochen. Online-Abstimmungsverfahren haben die generelle Problematik, dass sie nicht gleichzeitig eine geheime Wahl („es ist nicht nachvollziehbar, wie ich persönlich abgestimmt habe“) und eine allgemeine Wahl („meine Stimme zählt – und zwar genau soviel wie jede andere Stimme auch, und ich kann das auch nachvollziehen“) ermöglichen. Wie genau eine geheime und allgemeine Onlineabstimmung, die gleichzeitig manipulationssicher ist, umgesetzt werden kann, ist derweil noch nirgends zufriedenstellend gelöst worden. Zudem kann ein Großteil der Menschen abseits weniger Expertinnen und Experten nicht nachvollziehen, was das Computerprogramm intern macht - eine klassische öffentliche Urnenwahl, kann hingegen jede*r ohne spezielle Kenntnisse beobachten und nachvollziehen, im Zweifelsfall indem einfach die Stimmzettel nachgezählt werden. Die Online-Abstimmung erfordert deshalb einen großen Vertrauensvorschuss.
In seinem „Wahlcomputer-Urteil“ von 2009, in dem Wahlcomputer und damit letztlich auch Online-Wahlen als verfassungswidrig gewertet wurden, legt das Bundesverfassungsgericht eben diese Maßstäbe an. Ein Abstimmungssystem muss ohne technische Kenntnisse nachvollzogen werden können. Insbesondere kann eine solche Nachvollziehbarkeit bei Abstimmungen zu weitreichenden politischen Entscheidungen nicht durch eine sicherheitstechnische Überprüfung von Mustergeräten (im Rahmen eines Auditings) umgangen werden. Wahlsysteme, die diesen strengen Kriterien genügen, sind derzeit nicht auf dem Markt – wir glauben nicht, dass sie technisch überhaupt umsetzbar sind.
Für „nichtpolitische Wahlen“ können die Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere der Allgemeinheit und auch der Geheimheit, prinzipiell eingeschränkt werden, wenn es dafür einen schlagenden Grund gibt. Allerdings finden wir es falsch, die Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung als „nichtpolitische“ Entscheidung verbuchen zu wollen.
Ein Online-Verfahren bietet nicht zuletzt die Möglichkeit einer gezielten Manipulation des Ergebnisses (Hack-Angriff), die wiederum sehr schwer festgestellt werden kann. Besonders bei der Frage einer Regierungsbildung kann es von verschiedensten Interessensgruppen auch in Betracht gezogen werden, das Ergebnis tatsächlich in die für sie „richtige“ Richtung biegen zu wollen.
Landesparteitag nicht entmachten
Der vorliegende Antrag sieht vor, dass der Landesparteitag als reguläres oberstes beschlussfassendes Gremium der bayerischen Grünen nicht über die Annahme eines Koalitionsvertrags abstimmen soll. Stattdessen gibt er nur eine Empfehlung ab, die in einem unverbindlichen Votum der Mitglieder mündet. Am Ende dieser Kette soll schließlich der Landesvorstand diese Entscheidung fällen. Dies ist in sich unlogisch, da es letztlich auch keinen echten Mitgliederentscheid darstellt.
Der Landesparteitag als Vertretung der Basis der bayerischen Grünen muss weiterhin als oberstes beschlussfassendes Gremium agieren. Nachdem eine verbindliche Urabstimmung aus Zeitgründen unrealistisch ist und ein elektronisches Meinungsbild einerseits technisch unsicher ist, andererseits faktisch diese wichtige Entscheidung an den Landesvorstand delegieren würde, ist die Entscheidung auf einem Landesparteitag das basisdemokratischst möglichste Verfahren.
Keine digitale Urabstimmung durch die Hintertür
Der Antrag spricht davon, dass Mitglieder entscheiden sollen. Dafür sollen Mitglieder "befragt" werden und ein Votum vergeben. Der Landesvorstand soll dann "im Sinne" der Mitglieder entscheiden. Dies ist eine Urabstimmung durch die Hintertür. Wir haben eine Urabstimmungsordnung, die klar die Initiierung einer solchen Abstimmung regelt, inklusive Fristen und Durchführungsbestimmungen. Zudem ist die Möglichkeit zur Durchführung einer Urabstimmung in der Satzung verankert. Die vorgeschlagene Vorgehensweise ist nicht eindeutig definiert und soll als neues Verfahren in einem einfachen LDK-Beschluss gefasst werden. Das ist nicht im Sinne der durch 2/3-Mehrheiten festgelegten Satzung. Man muss sich den Folgen einer erstmaligen Initiierung und Zulassung eines solchen Verfahrens bewusst sein – es kann dann immer wieder beantragt werden.
Außerdem ist nicht geregelt bis wann man Mitglied der GRÜNEN geworden sein muss, um abstimmen zu dürfen sowie was mit Mitgliedern ist, die kein (schnelles) Internet haben.
Debatte auf Bundesebene abwarten
Die Debatte zur Durchführung auf Online-Abstimmungen wird gerade auf Bundesebene in der AG Digitale Abstimmung geführt. In einem Prozess, der im März 2018 gestartet ist, soll disutiert werden, ob und ggf. wie Online-Abstimmungen aussehen könnten und, falls man sich dafür aussprechen würde, welche Anforderungen wir als GRÜNE an solche Abstimmungen stellen würden. Die Debatte soll bis Herbst 2018 laufen. Es wäre absurd, wenn man auf Bundesebene zu anderen Schlüssen kommen würde und Bayern jetzt eine Vorfestlegung trifft, eine faktische Online-Abstimmung durchzuführen.
Lasst uns für die Debatte mehr Zeit nehmen
Wir sollten die Debatte und den Input der AG Digitale Abstimmung abwarten und schauen, was auf Bundesebene beschlossen wird. Innerhalb unseres Landesverbands sollten wir im Anschluss/parallel eine längerfristige Debatte führen, mit welchen Mitteln wir mehr Beteiligung erreichen und falls auf Bundesebene die Signale in Richtung Online-Abstimmung positiv sind, wir überlegen, wann und wie und zu welchem Zweck wir dieses Instrument einsetzen wollen und wozu Online-Abstimmungen überhaupt geeignet sind, bevor hier vorschnell Fakten geschaffen werden.
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