Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Digitaler Parteitag (LDK) |
Beschlossen am: | 14.11.2020 |
Eingereicht: | 16.11.2020, 11:12 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Finanzkriminalität endlich einen Riegel vorschieben: Wirecard-Skandal auch in Bayern konsequent aufklären
Beschlusstext
Es ist einer der größten Finanzskandale in der Geschichte der Bundesrepublik:
Der ehemalige DAX-Konzern Wirecard mit Hauptsitz im oberbayerischen Aschheim bei
München hat mutmaßlich über Jahre seine Bilanzen gefälscht und Geldwäsche in
großem Stil betrieben. Angebliche Bankguthaben des Konzerns auf den Philippinen
in Höhe von 1,9 Mrd. Euro – fast ein Drittel der Bilanzsumme – existieren nicht.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachtes auf Betrug, Untreue,
Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Geldwäsche. Das Unternehmen hat Insolvenz
angemeldet und kostet damit auch Tausenden Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Der
Schaden ist immens, nicht nur für den Finanzplatz Deutschland, sondern auch für
die Investor*innen, darunter viele Kleinanleger*innen, die mehrere Milliarden
Euro verloren haben. Dabei gab es spätestens seit 2015 klare Hinweise auf die
kriminellen Machenschaften der Wirecard AG. Die zuständigen staatlichen
Aufsichtsbehörden von Bund und Bayern haben allen Zeichen zum Trotz nicht
eingegriffen, auch die zuständigen Wirtschaftsprüfer*innen sind ihrer Pflicht
offenbar äußerst mangelhaft nachgegangen. Und auch die Deutsche Börse ist ihrer
Aufsichtspflicht nicht ausreichend nachgekommen : sie ließ Aktien einer Firma
handeln, deren Bilanzen gefälscht waren und die gegen die zum Schutze besonders
von Kleinanleger*innen geltenden Transparenzregeln verstieß[1].Die Aktien vom
Markt genommen oder das Versäumnis publik gemacht hat die Deutsche Börse
unerklärlicherweise aber nicht.
Die zwei Sondersitzungen des Finanzausschusses des Bundestags in der
parlamentarischen Sommerpause lassen grobe Zweifel am Aufklärungswillen der
Bundesregierung und haben deutlich gemacht: Die Bundesregierung erkennt ihre
Verantwortung in dem Skandal nicht an. Deswegen haben wir Grüne auf Bundesebene
gemeinsam mit FDP und Linken einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
eingesetzt, der seine Arbeit bereits [im Herbst] aufgenommen hat. Er soll
klären, an welchen Stellen die staatlichen Aufsichtsbehörden und die
Wirtschaftsprüfung versagt haben, und welche Rolle Lobbyismus und
geheimdienstliche Interessen gespielt haben. Neben der Sachaufklärung soll er
weiteren Reformbedarf offenlegen. Klar ist schon jetzt: Eine Reform der
deutschen Finanzaufsicht und der Wirtschaftsprüfungspraxis ist längst
überfällig.
Auch in Bayern übernimmt die Söder-Regierung trotz deutlicher Verfehlungen keine
Verantwortung. Dabei ist die Rolle der bayerischen Staatsregierung, der
bayerischen Behörden und einiger CSU-Politiker*innen höchst
aufklärungsbedürftig. Denn der Wirecard-Skandal offenbart nicht nur die
Wegschau-Mentalität der Söder-Regierung besonders im Bereich der Finanz- und
Wirtschaftskriminalität und den verantwortungslosen Umgang mit der
Geldwäscheaufsicht über Wirecard. Er zeigt auch ein äußerst bedenkliches
Lobbyismusverständnis sowohl von ehemaligen CSU-Staatsminister*innen und CSU-
Staatssekretär*innen als auch der bayerischen Staatsregierung und des
Bundeskanzleramts.
Wir sorgen dafür, dass die Söder-Regierung endlich ihren Teil der Verantwortung
für den Wirecard-Skandal übernimmt und ihre Rolle in dem Skandal lückenlos und
mit höchster Transparenz aufarbeitet! Die Regierung hat bei seinem ehemaligen
Vorzeige-FinTec-Unternehmen mindestens ein Auge zugedrückt. Das muss
Konsequenzen haben. Zudem wollen wir, dass die bayerische Staatsregierung die
Lehren aus dem Wirecard-Skandal zieht und Bayern seinen Ruf als ein
Schlaraffenland für Wirtschaftskriminelle endlich und ein für alle Mal loswird!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Bayern fordern:
1. Lückenlose und transparente Aufklärung des Wirecard-Skandals und allen
Verbindungen der Staatsregierung zum Konzern!
2. Massive Aufstockung des Personals in der Justiz, besonders bei der
Schwerpunkt-Bearbeitung Finanzkriminalität, um die umfassende Aufklärung zu
ermöglichen!
Obwohl seit 2010 regelmäßig Strafanzeigen gegen Wirecard wegen des Verdachts auf
Geldwäsche, Betrug und Untreue eingingen und es darüber hinaus auch
Verdachtsmeldungen über die Bundes-Finanzkriminalitätseinheit FIU an bayerische
Behörden zu Wirecard gab, sind die Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft
versandet. Es kam bisher weder zu einer Hauptverhandlung noch zu einem Urteil.
Stattdessen hat man Verfahren gegen Journalist*innen eröffnet, die dem
Riesenbetrug von Wirecard auf die Spur gekommen waren. Die bayerische Justiz
muss nun dringend und umfassend jeden Verdacht ausräumen, den Strafanzeigen
nicht ausreichend nachgegangen zu sein. Dafür werden wir die Justiz mit deutlich
mehr Personal und finanziellen Mitteln ausstatten.
3. Kurzfristig mehr Ressourcen für die Geldwäsche-Aufsicht im Freistaat
einsetzen und mittelfristiges Hinwirken auf der Überführung der Geldwäsche-
Aufsicht in die Bundeszuständigkeit!
Das zuständige bayerische Innenministerium hat die Vorwürfe gegen Wirecard
durchweg ignoriert und sich über Jahre nicht mit der Frage beschäftigt, ob die
Bezirksregierung Niederbayern als ihre Behörde für die Aufsicht über die
Wirecard AG zuständig ist – trotz den regelmäßigen Ermittlungen und Vorwürfen
wegen des Verdachts auf Geldwäsche. Obwohl die Frage der Zuständigkeit vom
prüfenden Wirtschaftsprüfungsunternehmen schon Anfang 2020 aufgebracht worden
war, schaltete sich das bayerische Innenministerium erst im Juni 2020 ein. Die
einzige Amtshandlung des bayerischen Innenministeriums bestand aber darin, die
Verantwortung für den Fall abzuschieben. Denn das bayerische Innenministerium
sprach der Bezirksregierung Niederbayern ausgerechnet am 25. Juni 2020 – der
Tag, an dem Wirecard Insolvenz angemeldet hatte – in einer ad-hoc-Entscheidung
entgegen deren monatelanger Überzeugung die Zuständigkeit als
Geldwäschepräventionsbehörde für die Wirecard AG ab. Von Aufklärungswillen oder
aktiver Problembekämpfung: keine Spur! Die Regierung Söder wollte offensichtlich
nur den Skandal-Sumpf weitestmöglich von sich fernhalten. Die Folge: Eine
Geldwäscheaufsicht für das Gesamtunternehmen Wirecard AG existierte zu keiner
Zeit.
Es ist kein Geheimnis, dass Bayern als Steuer- und Unternehmensparadies in
Deutschland gilt. Denn die bayerische Staatsregierung hat die zuständigen
Landesbehörden bei der Geldwäscheaufsicht jahrelang und strukturell
vernachlässigt und sträflich schlecht ausgestattet – personell und technisch.
Die Überforderung der bayerischen Behörden mit der Geldwäscheaufsicht überrascht
also nicht, die Ignoranz der Söder-Regierung bei Finanz- und
Wirtschaftskriminalität hingegen schockiert. Bei gerade mal 13,3 Personalstellen
für die gesamte Geldwäscheprävention im bayerischen Nichtbankensektor ist die
funktionierende Aufsicht für global handelnde Konzerne nicht möglich und öffnet
Tür und Tor für kriminelle Machenschaften mit volkswirtschaftlichen Schäden in
Milliarden-Höhe! Nur aus diesem Grund war es möglich, dass ein DAX 30-Konzern in
Bayern, dessen Bilanzsumme im Milliarden-Bereich lag und mit dem man sich im
Rahmen staatlicher Sponsoring-Verträge der Öffentlichkeit präsentierte und der
für Milliarden Euros an Transaktionen zuständig war, die dazu noch aus
Hochrisiko-Geldwäschebereichen wie Glückspiel kamen, keiner einzigen Geldwäsche-
Prüfung unterzogen wurde!Die GRÜNEN fordern als Konsequenz aus dem Wirecard-
Skandal eine Umstrukturierung der Geldwäscheaufsicht in Bayern. Die zuständigen
Landesbehörden müssen endlich eine schlagkräftige Einheit werden, die ihren
Aufgaben mit vollem Engagement nachgehen können. Die Geldwäscheaufsicht muss
finanziell besser ausgestattet und das Personal deutlich aufgestockt werden. Für
eine effektive Geldwäscheprävention führt kein Weg an einer vereinheitlichen
Aufsicht vorbei. Mittelfristig wollen wir sie deshalb in die Bundeszuständigkeit
überführen, wie es in der Vergangenheit bereits diskutiert und von den Ländern
vorgeschlagen wurde.
4. Einführung eines Lobbyregisters im Bayerischen Landtag und Einsatz im
Bundesrat für ein Lobbyregister im Bundestag!
Allen voran Karl-Theodor zu Guttenberg und Klaus-Dieter Fritsche haben ihre
Lobbytätigkeiten auf äußert dilettantische Weise betrieben und offenbar ihre
alten Kontakte im Kanzleramt genutzt, um Wirecard Gesprächstermine zu
verschaffen. Offensichtlich auch in Bayern mit Erfolg. Brisant ist dabei nicht
nur, dass ausgerechnet Fritsche als ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung
für die Nachrichtendienste und Berater des damaligen österreichischen
Innenministers Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ erfolgreich für
Wirecard lobbyierte. Pikant ist auch, dass das Kanzleramt Anfang September 2019,
also unmittelbar nach dem Einsatz des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg
für das Unternehmen, fleißig in China für Wirecard geworben hatte – obwohl im
Bundesfinanzministerium bereits seit Februar 2019 bekannt war, dass die
Finanzaufsichtsbehörde Bafin dem Verdacht auf Marktmanipulation bei Wirecard
nachgeht.
Der Skandal um Wirecard beweist ein weiteres Mal: Lobbyismus darf sich nicht im
Verborgenen abspielen. Deswegen fordern die Bayerischen GRÜNEN nicht nur mit
großem Nachdruck, dass die bayerische Staatsregierung alle Kontakte,
Kooperationen und Verbindungen mit dem Unternehmen offenlegt. Wir werden auch
dafür sorgen, dass sowohl in Bayern als auch auf Bundesebene endlich
Lobbyregister eingeführt werden. Politisches Handeln und Entscheidungen müssen
transparent sein. Einflussnahme und Korruption können wir nur dann verhindern,
wenn für uns alle einsehbar ist, welche Lobbyist*innen wann und welche
Regierungsvertreter*innen und Abgeordnete aufsuchen und mit wessen Auftrag sie
welche Ziele verfolgen.
[1] Wirecard legte seinen Jahresbericht zu spät vor.