Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesausschuss |
Beschlossen am: | 12.12.2020 |
Eingereicht: | 16.12.2020, 11:16 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Transparenz, Mitbestimmung, Chancengerechtigkeit - Für ein zukunftsweisendes Hochschulrecht in Bayern
Beschlusstext
Die Corona-Pandemie zeigt uns sehr deutlich, welche existenzielle Rolle
Wissenschaft und wissenschaftliche Erkenntnis für unsere Gesellschaft spielt.
Noch kurz davor hätte es wahrscheinlich niemand für möglich gehalten, dass
Virolog*innen zu Superstars werden und der Kanal eines Charité-Professors zu
einem der beliebtesten Podcasts in Deutschland wird.
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen – nicht nur angesichts
der Corona-Pandemie. Klimakrise und Umweltzerstörung, gesellschaftliche
Ungleichheiten und zunehmende gesellschaftliche Spaltung sind die großen
Herausforderungen unserer Zeit. Eine Schlüsselrolle bei deren Lösung haben
unsere Hochschulen. Sie forschen und lehren, damit wir die Antworten für die
wichtigen sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Fragen
haben.
Wir Grünen wollen den Wissenschaftsstandort Bayern zukunftsfähig aufstellen.
Dafür braucht es neben angewandter Forschung in allen Bereichen insbesondere
auch Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich zum Beispiel mit unserem
Zusammenleben und der gesellschaftlichen Transformation beschäftigen. Und
natürlich brauchen wir auch Lehre, die eng an die Forschung geknüpft ist.
Für einen innovativen Wissenschaftsstandort Bayern braucht es ein
zukunftsweisendes Hochschulgesetz, das die veralteten Paradigmen der
unternehmerischen Hochschule und der Ordinarienuniversität endlich hinter sich
lässt und demokratische und diverse Hochschulen ermöglicht. Wissenschaft in
Freiheit und Verantwortung, die in der Lage ist, die Herausforderungen der
Zukunft zu untersuchen und Lösungen zu identifizieren, zeichnet sich durch
Transparenz, Mitbestimmung, Diversität und Nachhaltigkeit aus.
Nachhaltigkeit als Aufgabe
Nachhaltigkeit und sozial-ökologische Fragestellungen sind die zentralen Themen
unserer Zeit. Nachhaltiges Handeln muss Aufgabe und Leitbild unserer Hochschulen
werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Forschung und Lösungen in Sachen
Nachhaltigkeit schnell in die Praxis zu überführen. Wir wollen außerdem
tierversuchsfreie Forschung und Lehre fördern.
Finanzierung und Infrastruktur
Um die Forschung in Sachen Nachhaltigkeit, Klima und Umwelt zu befördern,
braucht es aber nicht nur hochschulrechtliche Rahmenbedingungen, sondern
insbesondere auch eine sichergestellte Finanzierung. Eine solide
Grundfinanzierung schafft die Basis für gute Beschäftigungsbedingungen und
wissenschaftliche Freiheit. Forschung, die nur wirtschaftlichen Zwängen
unterstellt ist, kann keine Innovationen hervorbringen.
Finanzierungsmöglichkeiten über Gebühren für Studierende, sowohl direkte (z.B.
Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer*innen) oder indirekte Studiengebühren
(z.B. Verwaltungsgebühren) lehnen wir konsequent ab.
Deswegen setzen wir uns für eine Transparenzklausel bei der Einwerbung von
Drittmitteln ein, wie andere Bundesländer es vormachen. So kann leicht
recherchiert werden, von wem Forschungsprojekte finanziert werden und ob es
wirtschaftliche Interessenskonflikte dabei gibt.
Nicht zuletzt sind auch die Räume, in denen Forschung und Lehre stattfindet,
grundlegend für ihr Gelingen. Leider sind es keine Einzelfälle, dass
Forscher*innen in Bayern wortwörtlich die Decke auf den Kopf fällt oder
Studierende neben sich das Wasser von der Decke tropfen hören, während sie in
der Bibliothek über Büchern brüten. Es braucht endlich einen Plan, um den
unfassbaren Sanierungsstau der bayerischen Hochschulen von über 5,8 Milliarden
Euro abzubauen.
Wissenstransfer
Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, ihre wissenschaftlichen
Erkenntnisse auch der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wie
Wissenschaftler*innen das gelingen kann, sieht man in der derzeitigen Corona-
Pandemie. Gleichwohl ist das nur ein sehr kleiner Teil sehr engagierter
Forscher*innen, die sich die Zeit für Wissenschaftskommunikation nehmen können.
Ihnen steht ein ganzes Heer pseudowissenschaftlicher Publizist*innen gegenüber.
Wollen wir Fake News und Verschwörungsmythen entgegenwirken, brauchen wir mehr
professionelle Wissenschaftskommunikation. Dazu braucht es verlässliche
Karrierewege in dem Bereich, eine solide Ausstattung und mehr entsprechende Aus-
und Weiterbildungsangebote.
Wir streben nach dem baden-württembergischen Vorbild eine obligatorische Open-
Acces-Zweitveröffentlichung für Forschungsergebnisse an, die mit öffentlichen
Mitteln erlangt wurden. So kann nicht nur die Allgemeinheit an aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben, sondern man wirkt auch dem Oligopol
der wenigen großen Wissenschaftsverlage entgegen.
Studierenden, Alumni und Forscher*innen sollen die Hochschulen Unterstützung in
Form von Räumlichkeiten, IT- und Bibliotheksinfrastruktur zur Verfügung stellen,
um ihnen damit bei der Gründung von Start-Ups, gemeinnützigen Unternehmen und
anderen Innovationen unter die Arme greifen. Mit Zugriff auf öffentliche
Forschungsergebnisse können sie diese in ihre Gründungsideen einfließen lassen.
Demokratische Governance
Die Pläne der Staatsregierung, den Präsidien der Hochschulen noch mehr
Machtbefugnisse zu übertragen und den hochschulinternen Gremien weitere Rechte
zu entziehen, lehnen wir entschieden ab. Unter dem Deckmantel der
unternehmerischen Hochschule soll es hier in ein Zeitalter zurückgehen, das
dunkler klingt als die Ordinarienuniversität vor den Reformen nach 1968.
Wissenschaft ist ein Diskussionsprozess auf Augenhöhe. Sie ist in ihrer
Arbeitsweise demokratisch. Entsprechend müssen die Beteiligungsstrukturen der
Hochschulen demokratisch sein. Wir wollen Hochschulgremien in Bayern paritätisch
nach Geschlecht und in allen Entscheidungen, in denen dies zulässig ist,
viertelparitätisch nach Statusgruppe besetzen, nachdem viele Hochschulen in
anderen Bundesländern damit bereits sehr gute Erfahrungen machen.
Für eine gelingende Mitbestimmung ist aber auch auch die Interessenvertretung
der Statusgruppen zentral. Die Studierenden sind zwar die größte Gruppe an
Bayerns Hochschulen, jedoch auch die, die am meisten von anderen abhängig ist.
Deswegen gehört für uns die Wiedereinführung einer selbstverwalteten
Studierendenschaft zwingend zu einer Hochschulrechtsnovelle. Durch diese können
dann auch Verträge geschlossen werden, um bspw. deutlich einfacher
Semestertickets zu ermöglichen.
Diversität
Wissenschaft braucht die Diversität ihrer Mitglieder und Fachrichtungen. Hierzu
bedarf es offener, diskriminierungsfreier Zugänge zur Hochschule, ein
selbstbestimmtes Studium und einer Gleichstellungspolitik, die ihren Namen
verdient. Dreh- und Angelpunkt sind Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, die
ihren Aufgaben vollumfänglich nachkommen können mit ausreichend Rechten,
Finanzierung und Personal. Sie sollen auch in wichtigen Gremien wie den
Hochschulleitungen und den Hochschulräten ihr Stimmrecht ausüben. Sie sollen
mehr Einflussmöglichkeiten auf Berufungen, Einstellungs- und Bleibeverhandlungen
erhalten.
In der jetzigen Situation können Gelder der Frauenbeauftragten nur für Frauen
ausgegeben werden. Das hat beispielsweise zur Folge, dass Väter aus diesen
Mitteln keine Gelder für Kinderbetreuung beantragen können – Familie bleibt
somit ein Frauenthema. Die Möglichkeiten der Frauenbeauftragten, Mittel für
Frauenförderung und Gleichstellung auszugeben, sollen ausgeweitet werden.
Wir stellen uns eine Hochschule vor, in der sowohl die Professor*innenschaft als
auch die Gremien gleichberechtigt besetzt sind. Daher schlagen wir ein
Kaskadenmodell für die Berufung von Professor*innen vor und wollen
Hochschulgremien paritätisch besetzen. So schaffen wir weibliche Rollenvorbilder
und bringen auch die Sicht von Frauen in den Gremien ein.
Für andere Formen der Diskriminierung, ebenso wie für sexuelle Belästigung soll
es klare Ansprechpartner*innen an den Hochschulen geben, die für Awareness und
Beratung zuständig sind, aber auch als Ombudspersonen auftreten sollen.
Zudem braucht es verbindliche Gleichstellungskonzepte. Die Vereinbarkeit von
Studium, Lehre und Forschung mit familiären, Betreuungs-, Pflege- und weiteren
Verpflichtungen ist für uns ein Muss.
Studium und Lehre
Zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Familie wollen wir ein Recht auf
Teilzeitstudium verankern. Das würde auch zu einer besseren Durchlässigkeit
zwischen Ausbildung und Studium führen, da ein berufsbegleitendes Studium somit
viel einfacher realisierbar wird.
Hochschullehrer*innen sollen mit ihren Doktorand*innen verpflichtende
Promotionsvereinbarungen eingehen, in denen Ziele und
Qualitätssicherungsinstrumente festgehalten werden. Gleichzeitig sollen
forschungsstarke Fachbereiche der Hochschulen für angewandte Wissenschaften
ebenfalls ein Promotionsrecht bekommen.
Gute Arbeit in der Wissenschaft
Eine auskömmliche staatliche Grundfinanzierung soll prekäre
Beschäftigungsbedingungen vermeiden. Daueraufgaben sollen in Zukunft auch von
Dauerstellen wahrgenommen werden. Wir wollen es ermöglichen, dass
Lehrbeauftragte, die oft schon viele Jahre in dem Bereich tätig sind, sich auch
auf diese Stellen bewerben können. Die Lehraufträge sollen damit wieder ihren
ergänzenden Charakter bekommen. Gleichzeitig sollen die Lehrbeauftragten auch
das Recht bekommen, sich in die akademischen Gremien einzubringen.
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs braucht es verlässliche
Karriereperspektiven. Das Tenure-Track-Modell soll dafür auf rechtlich sicherere
Füße gestellt werden. In Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation
sollen mittelfristig eigene Karrierewege entstehen, die gute
Arbeitsmöglichkeiten für Absolvent*innen bilden.