Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Anträge |
Antragsteller*in: | Katharina Schulze, MdL (KV München), Cemal Bozoğlu, MdL (KV Augsburg) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 19.09.2019, 11:22 |
A14: Kein Zentimeter den Rechtsextremisten und Rassisten - Entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus und breite Bündnisse gegen Rechtspopulismus.
Antragstext
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 ist eine
Zäsur für unser Land. Erstmals seit 1945 wurde ein amtierender Politiker durch
einen Rechtsradikalen umgebracht. Förmlich reflexartig wurde durch einige Kreise
infolgedessen auch die These verfochten, dass es sich um die Tat eines
Einzeltäters oder einer isolierten Zelle handeln könnte. Dass dieser
Gedankengang realitätsfern ist, wissen wir seit dem NSU. Die
nationalsozialistische Terrorgruppe hatte deutlich gemacht, mit welchem braunen
Sumpf wir konfrontiert sind und wie gefährlich die rechte Szene ist. Fünf der
zehn NSU-Mordopfer kamen aus Bayern. Rechtsextreme Straf- und Gewalttaten
steigen seit Jahren an.
Mittlerweile sitzt eine rassistische und in erheblichen Teilen rechtsextreme
Partei im Deutschen Bundestag und auch im Bayerischen Landtag. Bei den jüngsten
Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg ist sie sogar jeweils auf dem zweiten
Platz gelandet. Im Vergleich zur Europawahl hat sie in beiden Bundesländern
zugelegt. Wenn mehr als ein Viertel der Bevölkerung nun eine solche Partei
wählen kann, zeigt uns diese Entwicklung die Brisanz dieses Themas. Die Gefahr
von rechts wird größer. Die AfD fungiert als parlamentarischer Arm der
rechtsextremistischen Szene und schafft zusammen mit unseriösen Pseudomedien ein
brandgefährliches Klima. Es hat darüber hinaus eine Diskursverschiebung nach
rechts in unserer Gesellschaft stattgefunden. Auch online wird gehetzt – und
irgendwann kommt es dann von den Worten zur Tat. Wir sehen nur zu genau: Die
Personen in den diversen rechten Strukturen kennen sich, tauschen sich aus,
stacheln sich an und bejubeln sich nach ihren widerwertigen Taten. Unser Land
steht vor einer großen Herausforderung, welche wir GRÜNE sehr ernst nehmen. Die
Verharmlosung des Rechtsradikalismus ist eine Gefahr, der wir entschieden
begegnen werden.
Die Grüne Landtagsfraktion macht jedes Jahr ein Lagebild Rechtsextremismus in
Bayern. Das aktuelle von 2018 gibt erneut Anlass zur Sorge. Im vergangenen Jahr
ereigneten sich jeden Tag statistisch gesehen durchschnittlich fünf
rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Bayern, die fremdenfeindliche
Kriminalität hat sich auf einem viel zu hohen Niveau stabilisiert und die Anzahl
der antisemitischen Straftaten und die Hasskriminalität im Internet sind sogar
sprunghaft angestiegen. Die rechtsextreme und die sogenannte Reichsbürger*innen-
Szene in Bayern agieren heute zunehmend vernetzter und radikaler und haben
Anschluss an eine breite rechte Bewegung.
In Bayern gibt es laut Auskunft des Innenministeriums rund 1.200 gewaltbereite
Rechtsextreme. Zahlreiche mit Haftbefehl gesuchte bayerische Neonazis sind
untergetaucht. Neonazis fahren regelmäßig zu Schießtrainings ins Ausland,
organisieren Kampfsportevents und Konzerte für die militante Szene. Diese
Tendenzen zeigen, dass nach wie vor ein erhebliches Gefährdungspotenzial von der
rechtsextremen Szene ausgeht.
Der Umgang mit dem NSU-Terrorismus hat uns weiterhin gezeigt, dass die
staatlichen Sicherheitsapparate große Schwächen bei der Bekämpfung der
rechtsextremistischen Gewalt hatten. Diese Defizite sind bis heute nicht
vollständig behoben - eine tiefgehende Verbesserung muss endlich erfolgen!
Die Asylpolitik der Staatsregierung verschärft die Situation zusätzlich. Sie
nimmt Menschen Perspektiven, erschwert ihre Integration und sorgt bei
Betroffenen für seelische Belastungen. Ein solches Agieren ist Wasser auf den
Mühlen der Rechtspopulist*innen, die hilfesuchende Menschen als Belastung oder
Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen wollen.
All dem muss von Anfang an Einhalt geboten werden. Rechter Hetze, Rassismus und
Gewalt muss mit allen geeigneten rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen
Mitteln entgegengetreten werden. Es geht darum, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu verteidigen, Toleranz und Solidarität zu
verstärken, gewalttätige Neonazis hinter Gitter zu bringen und die geistigen
Brandstifter*innen der AfD als Stichwortgeber für den brauen Terror zu
entlarven.
Auch der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aus Teilen der migrantischen
Communities sagt Grüne Politik entschieden die rote Karte. Re-Ethnisierung,
religiöse Radikalisierung, gesellschaftliche Segregation, Feindlichkeit
gegenüber Minderheitengruppen, antisemitische Tendenzen und auch die Propaganda
antidemokratischer Staatsführer wie Erdoğan oder Putin auf Kosten des
harmonischen Zusammenlebens in Deutschland sind nicht hinnehmbar. Unser Grünes
Bayern ist auch der Kontrast hierzu.
Insbesondere Internet und soziale Netzwerke sind vielfach von Hass und Hetze
geprägt. Dort werden immer öfter Personen, soziale Gruppen oder ganze
Berufsstände wie Journalist*innen beleidigt und bedroht, wenn sie sich für
Toleranz und Demokratie einsetzen oder Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
als Bedrohung benennen. Wir GRÜNE stellen uns mit aller Entschiedenheit gegen
jede Form und Androhung rechtsextrem bzw. rassistisch motivierter Gewalt. Wir
sprechen all jenen Personen, die aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres
Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, aufgrund ihrer sexuellen
Identität oder ihres politischen bzw. humanitären Engagements von rechtsextremer
bzw. rassistischer Gewalt bedroht werden, unsere volle Solidarität aus.
Die Bekämpfung des wachsenden Rechtsextremismus und des rechten Terrors hat bei
uns hohe Priorität. Wir verurteilen die rechtsextreme und rassistische Hetze
aufs Schärfste. Dass rechtsextreme Gruppierungen zudem an historisch besetzten
Orten wie dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Fackelmärsche inszenieren
können ist ein Unding. Ebenso, dass sich die Bayerische Staatsregierung nicht
eindeutig für ein Verbot der rechtsterroristischen Vereinigung ‚Combat 18‘
einsetzt oder Menschen, deren Namen auf sogenannten „Feindeslisten“ rechter
Gruppierungen auftauchen, hierüber nicht informiert. Menschen und Institutionen
haben das Recht es zu erfahren, wenn sie im Visier von rechtem Terror sind.
Es erfordert unser gemeinsames, entschiedenes Engagement, damit es niemand
schafft, das friedliche Zusammenleben in Bayern zu sabotieren. Das ist unsere
Grüne Grundüberzeugung. Bayern ist und bleibt bunt. Unsere Vielfalt ist unsere
Stärke.
Vielerorts stellen sich zivilgesellschaftliche Initiativen, viele engagierte
Menschen in Kommunen, Behörden, Parteien, Vereinen, Verbänden, Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften, Jugendverbänden oder
Migrant*innenselbstorganisationen dem Hass entgegen und leisten unschätzbar
wertvolle Arbeit für unsere Demokratie. Ihren Einsatz zur Stärkung unserer
Demokratie unterstützen wir ausdrücklich und sagen Danke. Dieser Einsatz muss
auch strukturell gefördert werden. Diesen Einsatz für eine offene und tolerante
Gesellschaft gilt es gemeinsam zu unterstützen, um damit unsere Demokratie zu
stärken. Wir wissen, die beste Antwort auf die rechte und rassistische Gesinnung
ist eine weltoffene Grundeinstellung und ein Umgang, bei dem jedem Menschen
vorurteilsfrei und solidarisch begegnet wird. Humanität statt Hass; das ist
integraler Bestandteil Grüner Politik.
Wir Grüne fordern deswegen:
- die CSU-FW-Regierung auf, alle ihr möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um
ein Verbot der militanten neonazistischen Gruppierungen „Die Rechte“, „Der
III. Weg“, Combat 18 und Ku-Klux-Klan durchzusetzen;
- die Schaffung einer landesweiten Antidiskriminierungsstelle, wie sie
bereits in mehreren Bundesländern Realität ist. Diese soll kommunale
Initiativen in Bayern vernetzen und unterstützen;
- die Einrichtung einer landesweit zentralen Beratungsstruktur für Opfer
rechtsextremer, antisemitischer und rassistischer Gewalt in Bayern;
- die Bekämpfung des wachsenden Rechtsextremismus mit zur obersten Priorität
der bayerischen Sicherheitsbehörden zu machen;
- eine bessere länderübergreifende Zusammenarbeit der Bundes- und
Landeskriminalämter sowie der Verfassungsschutzbehörden, um Aktivitäten
von rechtsextremistischen Gruppierungen besser und früher erkennen und
verhindern zu können; im Rahmen einer Aufgabenkritik die Ressourcen der
Polizei neu zu verteilen, um den Fahndung- und Ermittlungsdruck auf die
rechte Szene zu verstärken, um damit die bereits begangenen Taten
schneller aufzuklären und potenzielle Nachahmer*innen abzuschrecken;
- den Verfassungsschutz zu reformieren und umzustrukturieren: Die
nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wollen wir auf ein Minimum reduzieren
und die neue Behörde wird enger mit Wissenschaft sowie der
Zivilgesellschaft zusammenarbeiten;
- wachsam bzgl. rechtsradikal motivierter Personen innerhalb der staatlichen
Sicherheitsapparate zu sein und mehr demokratiefördernde und
rassismuskritische Inhalte in der Polizeiausbildung zu verankern;
- Konsequenzen aus der NSU-Aufklärung beim Verfassungsschutz und den
Ermittlungsbehörden zu ziehen: Einsetzung einer NSU-Kommission im
Bayerischen Landtag zur Implementierung der Konsequenzen aus dem NSU-
Untersuchungsausschuss;
- den wirksamen Schutz von bedrohten Einrichtungen, wie
Flüchtlingsunterkünften, Synagogen oder Moscheen;
- eine strenge Kontrolle des Einsatzes privater Sicherheitsdienste in
Geflüchtetenunterkünften, um zu verhindern, dass dort Personen aus der
rechten Szene eingesetzt werden, sowie klare Vorgaben zur Qualifizierung
des Personals und zur Einhaltung von umfangreichen Qualitätsstandards;
- eine Bildungsoffensive gegen Rechtsextremismus und Rassismus sowie für die
interkulturelle Bildung. Demokratische und politische Bildung muss früh
beginnen: In den Stundentafeln des bayerischen Schulsystems, aber auch im
Bereich von Kitas und Kindergärten besteht erheblicher Nachholbedarf,
ebenso in der Ausbildung der Lehrer*innen, Erzieher*innen und weiterer
pädagogischer Fachkräfte;
- Prävention und politische Bildung sind nicht Aufgabe des
Verfassungsschutzes, weswegen wir ihm diese Zuständigkeiten entziehen
wollen;
- ein enges Unterstützungs- und Beratungsangebot zum Umgang mit Rassismus
und rechter Ideologie in Bildungseinrichtungen, staatlichen Behörden und
Verwaltungen sowie im breiten Verbands- und Vereinsleben;
- dass Anbieter von Internetforen und sozialen Netzwerken strafbaren „Hate
Speech“ schnell prüfen und unverzüglich löschen müssen. Urheber*innen
müssen stärker als bislang ermittelt und ihre Kommentare zur Anzeige
gebracht und geahndet werden können;
- Eine virtuelle Polizeiwache für Bayern, bei der Menschen ‚Hate-Speech‘ im
Netz schnell und unkompliziert anzeigen können;
- das bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus – unter
Einbeziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft – zu evaluieren und
weiterzuentwickeln;
- ein bayerisches Förder- und Aktionsprogramm zur Unterstützung
zivilgesellschaftlicher Initiativen aufzulegen, die sich gegen
Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus oder andere Formen
Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit engagieren.
Unterstützer*innen
- Claudia Roth, MdB (KV Augsburg)
- Ekin Deligöz, MdB (KV Neu-Ulm)
- Andreas Krahl, MdL (KV Weilheim)
- Hep Monatzeder, MdL (KV München)
- Barbara Fuchs, MdL (KV Fürth)
- Ursula Sowa, MdL (KV Bamberg)
- Verena Osgyan, MdL (KV Nürnberg)
- Tim Pargent, MdL (KV Bayreuth-Stadt)
- Gabriele Triebel, MdL (KV Landsberg am Lech)
- Thomas Gehring, MdL (KV Oberallgäu)
- Sebastian Hansen (KV Würzburg-Land)
- Axel Kuckelkorn (KV Fürstenfeldbruck)
- Matthias Lorentzen (KV Augsburg)
- Helga Stieglmeier (KV Erding)
- Sophie Harper (KV München-Stadt)
- Heidi Terpoorten (KV Dillingen)
- Melanie Melitta Hippke (KV Augsburg)
- Franziska Büchl (KV München)
- Gülseren Karaca (KV Augsburg)
- Wolfgang Urban (KV Augsburg)
- Fiona Strauß (KV Augsburg)
- Markus Schnitzler (KV Augsburg)
- Reiner Erben (KV Augsburg)
- Florian Kraus (KV München-Stadt)
- Serdar Akin (KV Augsburg)
- Patrick Friedl, MdL (KV Würzburg)