Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 4 Sozialer Zusammenhalt |
Antragsteller*in: | Landesvorstand, Landesausschuss, Dr. Markus Büchler MdL (KV München-Land) (dort beschlossen am: 20.09.2019) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 20.09.2019, 10:41 |
SZ3: Lebenswerte Städte – attraktives Land: Den öffentlichen Raum zurückerobern
Antragstext
Wir wollen den öffentlichen Raum in unseren Dörfern, Städten und Gemeinden
wiederbeleben, in ganz Bayern. Damit schaffen wir Orte der Begegnung, in denen
sich alle Menschen auch außerhalb der eigenen vier Wände wohlfühlen,
zusammenkommen, kommunizieren, Gemeinschaft erleben und Gesellschaft kultivieren
können.
Wir wollen den öffentlichen Raum wieder so gestalten, dass Kontakte zwischen
Nachbarn wieder zunehmen. Wir wollen öffentliche Räume schaffen, die Menschen
einladen, wieder vermehrt herauszukommen aus der Anonymität im Eigenheim oder
der Wohnung. Wir wollen Ortszentren stärken, die Geschäfte, Praxen, Kitas,
Arbeitsplätze kompakt in wohnortnaher Entfernung bieten, sodass auch viele
Autofahrten überflüssig werden. Wir wollen Leben statt Lärm auf die Straße
bringen.
Wir wollen im öffentlichen Raum eine hohe Aufenthaltsqualität für alle schaffen:
mit Grün und Wasser, einladenden Sitzmöglichkeiten, Spielplätzen,
Veranstaltungsflächen, Sportplätzen, Fitnessanlagen für Jung und Alt,
Marktständen, lokalem Gewerbe und Gastronomie, WLAN, Kunst, Trinkbrunnen,
Toiletten, Ausstellungen, Bücherschränken, Fahrradstellplätzen usw. Damit
fördern wir Beisammensein, Teilhabe und Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Öffentlicher Raum: Das Wohnzimmer unserer Gesellschaft
Der öffentliche Raum hat in Städten genauso wie in Dörfern seit je her eine
große Bandbreite an Aufgaben und Funktionen für das Zusammenleben in der
Gesellschaft. Der öffentliche Raum, das heißt die Fläche zwischen unseren
Häusern oder Gartenzäunen, aber auch öffentlich verfügbare Räume in Gebäuden ist
der Ort, wo sich Menschen begegnen und damit soziale Teilhabe erleben. Vom
Dorfanger bis zum Stadtplatz, von der Gasse bis zur Promenade dient der
öffentliche Raum seit Jahrhunderten der Kommunikation, der Begegnung, dem
Austausch. Im Gegensatz zum privaten Raum, der jemandem gehört, der das
Hausrecht ausübt, dient der öffentliche Raum allen Menschen: offen, inklusiv,
demokratisch. Egal ob alt oder jung, reich oder arm, alteingesessen oder neu
zugezogen. Er ist das Angebot, die Einladung an alle Menschen, zusammenzukommen,
sich kennenzulernen, zu kommunizieren, Kontakte zu pflegen, aber auch draußen zu
verweilen, zu spielen, zu flanieren, zu genießen, zu handeln, zu konsumieren, zu
demonstrieren – kurz: am öffentlichen Leben teilzuhaben. Der öffentliche Raum
ist damit für jede*n ein zweites Wohnzimmer im Freien. Und er ist für uns alle
das Wohnzimmer der Gesellschaft. Nicht zuletzt ist der öffentliche Raum ein
wichtiger Ort des politischen Diskurses der Gesellschaft: Wahlkämpfe,
Demonstrationen, Kundgebungen und Revolutionen finden im öffentlichen Raum
statt. Der öffentliche Raum ist zutiefst demokratisch, denn er ist für alle da!
Den öffentlichen Raum zurückerobern – für alle!
Besonders auf dem Land sind Menschen mit eingeschränkter Mobilität und Menschen,
die kein Auto fahren oder finanzieren können, darauf angewiesen, die nötige
soziale und ökonomische Infrastruktur für das tägliche Leben in erreichbarer
Entfernung zu haben, um nicht auf autofahrende Hilfe angewiesen zu sein. Wir
wollen in unseren Dörfern und Städten aber allen Menschen attraktiven Aufenthalt
im öffentlichen Raum bieten, auch denjenigen, die sich keinen Kaffee in einer
Gaststätte leisten können oder wollen. Angebote zum kostenlosen und angenehmen
Aufenthalt in der Öffentlichkeit sind eine Investition in eine lebendige und
gerechte Gemeinschaft, ein wichtiger Beitrag zu Inklusion und Teilhabe.
Wir Grüne schaffen Lebensqualität vor der Haustüre
Öffentliche Räume bringen Menschen jedweder Herkunft, Geschlecht, sozialer
Schicht und Alter zueinander und stiften Raum für Kommunikation, Austausch,
Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft. Diese Kommunikation der Menschen ist
das Lebenselixier für Demokratie und friedliches Zusammenleben.
Um das zu erreichen, ist es wichtig, dass sich die Politik der Entwicklung des
öffentlichen Raums annimmt. Kommunen spielen dabei eine zentrale Rolle. Mit
unserem 10-Punkte-Plan für den Öffentlichen Raum zeigen wir im Kommunalwahlkampf
vor Ort mit konkreten Verbesserungsvorschlägen auf, wie hochwertige öffentliche
Räume der Gesellschaft nützen und den Ort bereichern. Damit leisten wir einen
Beitrag zur Entwicklung von mehr Lebensqualität in unseren Kommunen – sowohl im
ländlichen Raum wie auch in unseren wachsenden Städten.
- Wir wollen den Platz im öffentlichen Raum neu verteilen. Das bedeutet
konkret: Mehr Platz für Fuß- und Radverkehr, mehr Platz für schöne und
artenreiche Grünflächen, saubere Luft, Verkehrssicherheit und Lärmschutz.
Die Dominanz des motorisierten Verkehrs und der Parkplätze wollen wir
zugunsten einer gerechteren und menschenfreundlicheren Aufteilung des
öffentlichen Raumes zurückdrängen.
- Das Leitbild „Dorf bzw. Stadt der kurzen Wege“ ist unsere Maxime in der
Siedlungsentwicklung. Wir wollen die Innenentwicklung stärken, statt immer
mehr auf der „grünen Wiese“ bauen. Bei Bauprojekten müssen die Chancen
ausgelotet werden, zugleich den öffentlichen Raum aufzuwerten.
- Die bayerische Städtebauförderung und das Dorferneuerungsprogramm wollen
wir um ein Sonderprogramm zur Entwicklung des Öffentlichen Raums in
Städten und Gemeinden von 5 Millionen Euro pro Jahr ergänzen und die
Mittel beim Straßenbau einsparen.
- Mit einem Bundesprogramm „Bauflächenoffensive – 100.000 Dächer und Häuser
Programm“ fördern wir die Aktivierung leerstehender Gebäude, um damit die
Lebendigkeit der Ortskerne zu stärken. Künftig sollen grundsätzlich
fehlende Innenentwicklungspotentiale vor der Ausweisung neuer Baugebiete
nachgewiesen werden müssen. So reduzieren wir den Flächenverbrauch.
- Wir wollen unsere oftmals verwaisten und heruntergekommenen Bahnhöfe
wieder zu lebendigen Treffpunkten entwickeln, die die Gemeinde oder den
Stadtteil mit Kiosk oder Cafe, Warteraum und weiteren Dienstleistungen und
Mobilitätsangeboten bereichern. Auch das stützt die Gemeinschaft vor Ort,
dient dem Austausch der Menschen und bietet Mehrwert für die
Lebensqualität.
- Wir begrüßen die Initiativen zur Wiedereröffnung von Dorfläden als Zentrum
für Kommunikation, Austausch und Nahversorgung im Dorf und wollen diese
mit einer staatlichen Förderung anschieben.
- Wir wollen mehr Kunst und Kultur im öffentlichen Raum. Straßen- und
Dorffeste, traditionsreiche kulturelle Umzüge, Prozessionen und
Veranstaltungen prägen die Identität eines Ortes und stärken die
Gemeinschaft. Wir wollen aber auch mehr Kunstprojekte, Denkmäler,
Gestaltungen von Kindern und Jugendlichen in ganz Bayern, um dadurch den
öffentlichen Raum bunter und lebendiger zu machen.
- Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien und viele andere Länder
verwandeln Straßen und Plätze in „Begegnungszonen“ (Shared Space).
Gehsteige und Fahrbahnen werden zusammengelegt, die Fläche gestalterisch
aufgewertet. Autos, Fahrräder und Fußgänger*innen bewegen sich langsam und
gleichberechtigt. Damit werden nicht nur vielfältige städtebauliche,
sondern auch soziale (Kommunikation, Sicherheit, Wiederbelebung) und
wirtschaftliche Ziele (Erhaltung mittelständischer Betriebe und
Gastronomie, Tourismusförderung) verwirklicht. Deshalb wollen wir die
Möglichkeit von Begegnungszonen für unsere Kommunen in der
Straßenverkehrsordnung schaffen.
- Um auch in den immer heißeren Sommermonaten allen Menschen einen
angenehmen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen und lokale
Extremtemperaturen zu vermeiden, wollen wir mehr Fassadenbegrünung,
Ortsdurchgrünung, Schatten spendende Bäume und Wasser im öffentlichen
Raum. Viele im Zuge des Straßenbaus verrohrte Bäche können wieder geöffnet
und zum Vorteil von Natur und Mensch kleine grüne Oasen im Wohnumfeld
werden.
- Wir wollen die Barrierefreiheit für den gesamten öffentlichen Raum in
Bayern. Alle Menschen, auch Seniorinnen und Senioren, Kinder und Menschen
mit Behinderungen sollen sich sicher und selbständig bewegen können. Ein
barrierefreier öffentlicher Raum mit Nahversorgung im Wohnumfeld gibt
Seniorinnen und Senioren die Möglichkeit, sich lange selbstbestimmt zu
versorgen und zugleich am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Begründung
Die Bayerische Verfassung schreibt das Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Bayern vor. Das ist ein richtiges Ziel, das wir Grüne sehr ernst nehmen. In den letzten Jahren hat sich Bayern von diesem Ziel aber immer weiter entfernt. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land wachsen. Die Gesellschaft driftet weiter auseinander.
Der öffentliche Raum in Bayern wird, trotz manch hübsch gestalteter Dorfzentren oder Fußgängerzonen, meist vernachlässigt. Vor der Haustüre finden wir allzuoft eine graue Monotonie aus asphaltierter Fahrbahn und Parkplatzstreifen mit Restflächen für vielerorts gefährdete Fußgänger*innen und Radfahrende. Damit geht der öffentliche Raum für die Gesellschaft verloren, entwertet und zu Fahrbahn oder Parkplatz degradiert. Verschärft wird die Situation durch den Flächenfraß am Ortsrand, wenn dort die Discounter sprießen und das lokale Gewerbe, die Arztpraxis, das Wirtshaus oder die Läden als soziale Treffpunkte in zentraler Lage schließen. Dies erschwert Teilhabe und hemmt den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Öffentliche Räume müssen lebendig und attraktiv sein, um Identität zu stiften, Anonymisierung zu vermeiden und dem Gefühl des "Abgehängt-Seins" entgegenzuwirken.