Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Anträge |
Antragsteller*in: | Claudia Roth MdB (KV Augsburg-Stadt), Gülseren Demirel MdL (KV München-Stadt) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 18.10.2019, 10:08 |
I1: Völkerrechtswidrige Militäroffensive der Türkei verurteilen, umgehend Konsequenzen ziehen
Antragstext
Am 9. Oktober 2019 marschierten türkische Streitkräfte im Nordwesten Syriens
ein. Die türkische Invasion ist eine Verletzung des Völkerrechts und eine
unverantwortliche militärische Gewalteskalation. Bereits jetzt hat der Einmarsch
die humanitäre Katastrophe im Land dramatisch ausgeweitet. Über 300.000 Menschen
sind auf der Flucht, nach Schätzungen der Syrischen Beobachtungsstelle für
Menschenrechte.
Der Einmarsch in Nordsyrien ist ein gezielter Angriff auf die kurdische
Bevölkerung, eine bewusste Eskalation des Konflikts mit den Kurdinnen und Kurden
im eigenen Land. Bewusst begräbt Präsident Erdoğan die letzte Hoffnung, den
kurdischen Friedensprozess in der Türkei auf absehbare Zeit wiederzubeleben.
Die Ankündigung, mittelfristig Millionen syrischer Geflüchteter in das
mehrheitlich kurdische Nordsyrien umzusiedeln, ist der aggressive Versuch, die
dortige Bevölkerungsstruktur nach zynisch-nationalistischem Kalkül
umzuschichten. Die Folge wäre eine weitere humanitäre Tragödie und gefährliche
neue Konflikte, von denen die gesamte Bevölkerung, insbesondere aber die
Kurdinnen und Kurden sowie die ethnischen und religiösen Minderheiten in der
Region betroffen wären.
Mit seinem Truppenabzug hat US-Präsident Donald Trump den kurdischen Kräften
abrupt die Unterstützung im Kampf gegen den IS entzogen. Eine ausreichende
Überwachung der in Nordsyrien inhaftierten IS-Kämpfer dürfte unter aktuellen
Umständen nicht garantiert sein. Mit seiner unverantwortlichen Politik hat
Präsident Trump die Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien unmittelbar dem syrischen
Machthaber Baschar al-Assad in die Arme getrieben.
Bereits Anfang 2018 hatte die Türkei mit einer Militäroffensive in der Region
von Afrin völkerrechtswidrig gehandelt. Deutliche Worte fand die Bundesregierung
auch damals nicht; bis heute bleiben die unzähligen Menschenrechtsverbrechen in
den besetzten Gebieten weitestgehend unkommentiert. Auch innerhalb der NATO
blieb deutliche Kritik weitestgehend aus. Für Präsident Erdoğan muss das wie ein
„weiter so“ geklungen haben. Das geschieht nun.
Es ist nicht hinnehmbar, wenn NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und auch
Außenminister Heiko Maas den erneuten völkerrechtwidrigen Einmarsch der Türkei
nun mit dem Verweis auf angebliche türkische Sicherheitsinteressen zumindest
relativieren. Wer suggeriert, der völkerrechtswidrige Einmarsch türkischer
Streitkräfte in Nordsyrien habe mit vermeintlichen Sicherheitsinteressen der
Türkei zu tun, stärkt Präsident Erdogan nur in seinem unverfrorenen Vorhaben,
einen eindeutigen Völkerrechtsbruch mit Artikel 51 der UN-Charta zu
rechtfertigen. Umso entscheidender ist es nun, zu verdeutlichen, dass die Türkei
für ihre Invasion keinen Beistand der NATO erwarten kann.
Derweil hat die türkische Regierung in Afrin eindeutig gezeigt, wie sie sich die
Zukunft für den gesamten Norden Syriens vorstellt. Die gesamte, vorwiegend
kurdische Bevölkerung wird durch systematische Menschenrechtsverbrechen gezielt
entmündigt und drangsaliert. Tagtäglich sind die Menschen in Afrin der Willkür
und Gewalt dubioser Milizen ausgeliefert, die nur unter dem Schutz des
türkischen Militärs so agieren können.
Mit dem Flüchtlingsdeal von 2016 hat sich die Europäische Union durch Erdoğan
erpressbar gemacht. Es ist richtig, die Türkei als Aufnahmeland mit der höchsten
Zahl syrischer Geflüchteter bei deren Versorgung und Unterbringung finanziell
umfassend zu unterstützen. Die Grundidee des Flüchtlingspaktes aber, im Gegenzug
jeden Geflüchteten, der die griechischen Inseln erreicht, in die Türkei
zurückzuschicken, ist asylrechtswidrig.
Seit Anfang 2018 wurden zudem Hermesbürgschaften für die Türkei im Wert von rund
2,6 Milliarden Euro gewährt. Und allein seit Beginn des Einmarsches in Afrin
wurden deutsche Kriegswaffen im Wert von mindestens 427 Millionen Euro an die
Türkei geliefert. Die Ankündigung der Bundesregierung, keine Genehmigungen für
alle Rüstungsgüter, die durch die Türkei in Syrien eingesetzt werden könnten, zu
erteilen, ist in diesem Zusammenhang völlig ungenügend, da sie sich nur auf
einen Teil der Rüstungsexporte bezieht und bereits genehmigte Lieferungen
fortlaufen sollen.
Vor diesem Hintergrund muss gerade auch die Bayerische Staatsregierung ihren
Beitrag zur Beilegung des militärischen Einsatzes der Türkei in Syrien leisten.
Bayern aber wird seiner besonderen politischen Verantwortung als größte
Waffenschmiede Deutschlands bisher in keiner Weise gerecht. Ganz im Gegenteil:
Keine andere Landesregierung agiert so massiv gegen restriktive
Rüstungsexportregelungen. Das kritiklose und offene Werben für Waffenverkäufe an
Kriegs- und Krisenstaaten droht, in völlig unverantwortlicher Weise zur
Verschärfung von Krisen beizutragen, wie sich nun erneut zeigt. Statt
abenteuerlicher außenpolitischer Alleingänge muss die Bayerische Staatsregierung
dazu beitragen, aus Deutschland einen Vorreiter ziviler Krisenprävention zu
machen.
Der Normalisierungskurs der Bundesregierung gegenüber Ankara ist gescheitert und
hat Präsident Erdogan in seinem autokratischen, anti-demokratischen Kurs nur
bestärkt. Die Bundesregierung hat viel zu lange kaum oder viel zu leise Kritik
an der zunehmend autokratischen und unberechenbaren Innen- und Außenpolitik der
türkischen Regierung geübt. Dieses laute Schweigen, auch zu Afrin im letzten
Jahr, es hallt nach und rächt sich nun erneut.
Wir GRÜNE stehen fest an der Seite aller Demokratinnen und Demokraten in der
Türkei. Von Bundes- und Landesregierung erwarten wir dasselbe – und deshalb
einen grundlegenden Kurswechsel im Umgang mit der türkischen Regierung.
Wir GRÜNE fordern die Bundesregierung auf:
- sich auf allen Ebenen für einen sofortigen Stopp des türkischen Angriffs
in Nordsyrien einzusetzen und den Einmarsch der Türkei in Syrien als
erneut völkerrechtswidrig zu verurteilen;
- auf einen umgehenden Waffenstillstand in der Region hinzuarbeiten;
- ausnahmslos alle deutschen Rüstungsexporte in die Türkei umgehend zu
stoppen und bereits erteilte Genehmigungen zu widerrufen;
- auch Pläne zur Beteiligung deutscher Unternehmen an Rüstungskonsortien zu
unterbinden und die Gesetzeslücke, die solche Vorhaben ermöglicht,
dringend zu schließen;
- die völkerrechtswidrige Intervention der Türkei auch innerhalb der NATO,
insbesondere im Nordatlantikrat, auf die Tagesordnung zu setzen und zu
verdeutlichen, dass die Türkei für ihre völkerrechtswidrige Invasion
keinen Beistand der NATO erwarten kann;
- sich zugleich für ein Ende der Angriffe auf zivile Einrichtungen in der
Türkei einzusetzen;
- sicherzustellen, dass die durch deutsche Aufklärungsflüge im Rahmen der
Operation „Inherent Resolve“ über Syrien und dem Irak gewonnenen
Aufklärungsdaten nicht länger mit der türkischen Regierung geteilt werden,
die Verlängerung des Engagements der Bundeswehr bei der Operation
„Inherent Resolve“ zurückzunehmen und die Tornados aus Jordanien
abzuziehen;
- keine neuen Hermesbürgschaften zur Absicherung wirtschaftlicher
Aktivitäten in der Türkei mehr zu übernehmen und alle noch offenen Anträge
negativ zu bescheiden;
- den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal von 2016 zu beenden, die europäische
Unterstützung zu unmittelbaren Gunsten der über drei Millionen Flüchtlinge
in der Türkei auf anderem Wege fortzuführen und Kontingente zur Entlastung
der dortigen Strukturen einzurichten;
- sich für eine diplomatische Offensive gegenüber der Türkei sowie
Vertreterinnen und Vertretern der kurdischen Bevölkerung in der Region
einzusetzen, um maximalen Druck für eine politische Lösung aufzubauen –
denn weder der kurdische Konflikt noch der schreckliche Krieg in Syrien
werden militärisch, sondern nur unter Einbeziehung der betroffenen Staaten
und Interessengruppen sowie unter Wahrung des Völkerrechts gelöst werden
können;
- mehr denn je eine klare Position für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Menschenrechte in der Türkei und in der Region einzunehmen sowie alles
politische Handeln konsequent auf die Unterstützung der vielen
demokratischen Kräfte in der Türkei auszurichten;
- dafür Sorge zu tragen, dass keine Verhandlungen über eine Ausweitung der
Zollunion eröffnet werden, solange die Türkei keine Kehrtwende zurück zu
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht;
- sicherzustellen, dass europäische Heranführungshilfen ausschließlich an
gesellschaftliche, prodemokratische Organisationen ausgezahlt werden;
- sich vehement dafür einzusetzen, dass die EU-Beitrittsgespräche, die de
facto gerade auf Eis liegen, nicht vollständig abgebrochen werden, da
dieser Schritt das falsche Signal an die vielen demokratischen Kräfte in
der Türkei senden und die europäische Perspektive einer Türkei, die nach
dem Ende der Ära Erdoğan zu Demokratie und Menschenrechten zurückfindet,
endgültig beenden würde.
Mit Blick auf die besondere Rolle des Bundeslandes Bayern im Rüstungsbereich
fordern wir GRÜNE die Bayerische Staatsregierung gesondert auf:
- auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass die bestehenden
Rüstungsexportrichtlinien lückenlos umgesetzt werden und folglich keine
Ausfuhren von Rüstungs- oder Dual-Use-Gütern in Kriegs- und Krisenländer
sowie in Staaten mit problematischer Menschenrechtslage mehr genehmigt
werden;
- alle Versuche, eine Sonderrolle in der deutschen Außenpolitik einzunehmen,
zu beenden;
- deutlich mehr Friedensforschung statt Militärforschung zu ermöglichen und
die gesellschaftliche Diskussion in Bayern über ethische Bedenken bei der
Vergabe öffentlicher Gelder für Militärforschung zu befördern;
- zu diesem Zweck die Annahme von Drittmittelprojekten für Militärforschung
an Hochschulen und Universitäten transparenter zu gestaltet;
- bayerische Universitäten und Hochschulen zu unterstützen, damit diese sich
in freiwilligen Selbstverpflichtungen, sogenannten Zivilklauseln, zum
Verzicht auf rüstungsnahe Forschung bekennen;
- Zur Beratung und unabhängigen Bewertung sind Kommissionen nach dem Vorbild
der Ethikkommissionen in der Medizinforschung zu schaffen.
Unterstützer*innen
- Margarete Bause (KV München-Stadt)
- Lisa Badum (KV Forchheim)
- Uwe Kekeritz (KV Neustadt/Aisch – Bad Windsheim)
- Eva Lettenbauer (KV Donau-Ries)
- Hep Monatzeder (KV München-Stadt)
- Melanie Hippke (KV Augsburg-Stadt)
- Dr. Volker Leib (KV München-Land)
- Heidi Terpoorten (KV Dillingen)
- Stephan Christoph (KV Regensburg-Stadt)
- Beppo Brem (KV München-Stadt)
- Gerrit Siegers (KV München-Stadt)
- Julian Georgi (KV München-Stadt)
- Ursula Harper (KV München-Stadt)
- Sandra Neubauer (KV Unterallgäu)
- Christian Hartranft (KV München-Stadt)
- Uwe Reimer (KV München-Stadt)
- Meike Thyssen (KV München-Stadt)
- Peter Heilrath (KV München-Stadt)
- Sabrina Koch (KV Augsburg-Stadt)
- Rita Keller (KV Augsburg-Stadt)
- Markus Schnitzler (KV Augsburg-Stadt)
- Paul Primbs (KV Augsburg-Stadt)
- Helga Mandl (KV Traunstein)
- Martin Erdmann (KV Landsberg)
- Monir Shahedi (KV Regensburg-Stadt)
- Theresa Eberlein (KV Regensburg-Stadt)
- Hedwig Borgmann (KV Landshut-Stadt)
- Christina Mader (KV Oberallgäu)
- Sebastian Hansen (KV Würzburg-Land)
- Anne Steuernagel (KV München-Stadt)
- Maximilian Retzer (KV Passau-Stadt)
- Vivien Knies (KV Augsburg-Stadt)
- Mirjam Körner (KV Regensburg-Stadt)
- Markus Koller (KV Regen)
- Johannes Jordan (KV Regen)
- Doris Wagner (KV München-Stadt)
- Barbara Epple (KV München-Stadt)
- Paula Sippl (KV München-Stadt)
- Katharina Wittig (KV München-Stadt)
- Lyn Faltin (KV München-Stadt)
- Carla Ober (KV Erlangen)