Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 4 Anträge |
Antragsteller*in: | Sebastian Hansen (KV Würzburg-Land) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 18.08.2022, 20:51 |
A1: Dem Hass entgegen treten - für wirksame Maßnahmen gegen die Übergriffe aus dem sogenannten "Querdenken"-Milieu!
Antragstext
Gleich mehrere bekannte Ärzt*innen, Anwält*innen und Publizist*innen haben sich
in den letzten Wochen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Alle hatten zuvor
Drohungen aus dem verschwörungsideologischen Milieu erhalten. Ähnlich erging es
seit Sommer 2021 auch vielen anderen, die sich für eine evidenzbasierte Corona-
Politik aussprachen und sich gegen "Querdenken" positionierten, darunter auch
Journalist*innen und (Kommunal-)politiker*innen. Zum Teil kam es auch zu
gewalttätigen Übergriffen.
Unsere Solidarität gilt den Betroffenen doch diese Angriffe geschehen nicht im
luftleeren Raum, sondern gehen von einem sich immer weiter radikalisierenden
verschwörungsideologischen Milieu aus, das insbesondere in den Wintermonaten
2021/22 in der Lage war, zehntausende Menschen für eine demokratiefeindliche
Agenda auf die Straße zu bringen. Viele der auf den Demonstrationen und im Netz
geäußerten Parolen nehmen klaren Bezug auf klassische extrem rechte
Argumentationsmuster, insbesondere auf antisemitische Verschwörungserzählungen,
die dem klassischen Rechtsextremismus seit jeher inhärent sind. Gleichzeitig
nehmen antisemitische Vorfällte auch in Bayern deutlich zu: Die Recherche- und
Informationsstelle Antisemitismus Bayern (Rias Bayern) erfasste im vergangenen
Jahr 447 antisemitische Vorfälle - rund 82 Prozent mehr als im Vorjahr.
Dennoch werden diese Zusammenhänge von den bayerischen Sicherheitsbehörden noch
immer nicht erkannt, die Demonstrationen viel zu oft in einem vorgeblich
„bürgerlichen“ Milieu verortet und als unproblematisch eingestuft. Dabei zeigt
sich die Unfähigkeit der Sicherheitsbehörden, solche Bewegungen, ihre Aussagen
und Ziele phänomenbezogen zu bewerten und zu erkennen, dass
Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus auch in der sogenannten "bürgerlichen
Mitte" verbreitet sind.
Das muss sich ändern! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern fordern die bayerischen
Sicherheitsbehörden nachdrücklich auf, die antidemokratische und antisemitische
Ideologie der sogenannten „Querdenken“-Demonstrationen, sowie das
Gefahrenpotential, das von ihnen ausgeht, endlich ernst zu nehmen und den Umgang
mit dem Milieu entsprechend anzupassen. Noch immer werden Delikte, die im Netz
geschehen, nicht ausreichend in den Fokus genommen. Doch eine Morddrohung bleibt
eine Morddrohung, egal wo sie ausgesprochen oder niedergeschrieben wurde.
Polizist*innen müssen besser geschult werden, sodass Betroffende ernst genommen
werden, die Aufnahme von Anzeigen überall reibungslos funktioniert und die Opfer
der Bedrohungen bestmöglich über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt werden
können. Darüber hinaus müssen die Sicherheitsbehörden auch präventiv tätig
werden und die einschlägigen, öffentlich zugänglichen Gruppen und Foren aktiver
verfolgen. Durch spezielle Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu
Verschwörungsideologien und Antisemitismus muss sichergestellt werden, dass
Beamte problematische Inhalte auch zuverlässig erkennen.
Gefährdet sind im Zusammenhang mit "Querdenken" insbesondere auch
Journalist*innen, die diese Demonstrationen begleiten. Ende 2021 berichteten
viele, vor allem freie Journalist*innen auf Twitter unter dem Hashtag
#ausgebranntePresse von verbalen und gewalttätigen Übergriffen, die sie im
Zusammenhang mit ihrer Arbeit erleiden mussten. Räumliche Schwerpunkte dieser
berichteten Übergriffe waren neben Sachsen auch Unterfranken und Niederbayern,
die allermeisten fanden im Zusammenhang mit „Querdenken“-Demonstrationen statt.
Zudem hat „Reporter ohne Grenzen“ Deutschland in ihrer Pressefreiheits-Rangliste
auf Platz 16 zurückgestuft. Als Grund wurde ebenfalls die zunehmende Gewalt
gegenüber Journalist*innen auf Demonstrationen genannt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern verurteilen diese Entwicklung, denn die
Pressefreiheit ist konstituierend für unsere Demokratie. Unsere Gesellschaft
muss alles tun, um sie zu schützen. Doch das ist an einigen Stellen nicht der
Fall. Noch im Frühjahr behauptete zum Beispiel die unterfränkische Polizei,
Journalist*innen würden während des Demonstrationsgeschehens versuchen,
„Privilegien der Pressefreiheit zu missbrauchen“. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern
verlangen von den bayerischen Sicherheitsbehörden wirksame Schutzkonzepte für
Journalist*innen auf und nach Demonstrationen, mit denen die Arbeit der
Pressevertreter*innen jederzeit vollumfänglich gewährleistet ist.
Ebenso gefährdet sind (Kommunal-)politiker*innen, die etwa Corona-Maßnahmen
umsetzen müssen oder sich gegen Rechtsextremismus und „Querdenken“
positionieren. Gleiches gilt für Angehörige von NGOs, die im Bereich
Demokratiebildung oder Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus
tätig sind. So wurde beispielsweise im Frühjahr 2022 der Rhöner Landrat
Habermann vor seinem Wohnhaus bedroht und das Haus es Zweiten Bürgermeisters von
Simbach am Inn, Dr. Großwieser, mit rechtsextremen Parolen beschmiert. Die
Staatsregierung hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, Übergriffe gegen
Kommunalpolitiker*innen stärker zu sanktionieren. Doch ob dies den
Sicherheitsbehörden gelingt, steht und fällt mit den Kräften vor Ort. Nur wenn
hier Bedrohungspotential erkannt und konsequent gehandelt wird, ist ein
wirksamer Schutz möglich.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern fordern deswegen eine bayernweite Sensibilisierung
der lokalen Polizeikräfte in Bezug auf Übergriffe auf (Kommunal-)politiker*innen
und mögliche Schutzkonzepte. Gerade weil Kommunalpolitiker*innen stets in engem
Kontakt mit den Menschen in ihren Kommunen stehen (müssen) und deswegen
Übergriffe fast immer auch ihren engsten Lebensbereich betreffen, müssen
Maßnahmen im Zweifelsfall äußerst zügig getroffen und die Strafverfolgung der
Täter*innen priorisiert und konsequent umgesetzt werden.
Eine weitere Gruppe, die zuletzt verstärkt aus dem verschwörungsideologischen
Milieu ins Visier genommen wurde, sind Ärzt*innen, insbesondere solche, die
Impfungen empfohlen und durchgeführt haben. Oft sind das engagierte Haus- und
Landärzt*innen, die wir so dringend für eine funktionierende medizinische
Versorgung brauchen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern solidarisieren sich mit den
Betroffenen! Ärztliche Praxen sind ein Schutzraum für die Patient*innen,
weswegen unter solchen Übergriffen und Drohungen auch die Patient*innen leiden.
Die Sicherheitsbehörden müssen deswegen Drohungen ernst nehmen, gemeinsam mit
der betroffenen Praxis ein Schutzkonzept ausarbeiten und dieses umsetzen. Auch
hier ist es notwendig, die Täter*innen zügig ausfindig zu machen, um so die
Bedrohungslage zu beenden.
Während sich bereits seit 1945 eine blutige Spur antisemitischen Terrors durch
die Bundesrepublik zieht, nehmen in den letzten Jahren auch in Bayern
antisemitische Vorfälle unter anderem durch die von "Querdenken" im Netz wie auf
Demonstrationen verbreitete verschwörungsideologische, antisemitische Hetze
massiv zu. Die Bedrohungslage für Jüdinnen*Juden sowie die jüdischen Gemeinden
in Bayern ist massiv. Es ist unsere Pflicht, gegen jeden Antisemitismus
vorzugehen und dafür zu sorgen, dass Jüdinnen*Juden hier sicher leben können.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern fordern mehr Sensibilisierung von Polizei, Justiz
und Lehrkräften gegenüber Antisemitismus, mehr Antisemitismusprävention im
bayerischen Bildungssystem, umfassende und ausfinanzierte Sicherheitskonzepte
für jüdische Einrichtungen sowie institutionelle finanzielle Unterstützung für
Organisationen wie RIAS Bayern, die antisemitische Vorfälle auch unterhalb der
Strafbarkeitsgrenze erfassen sowie Betroffene betreuen und beraten.
Wichtig für alle Betroffenen verbaler wie physischer Gewalt ist neben der akuten
Sicherstellung ihrer Unversehrtheit auch eine psychosoziale Unterstützung durch
staatliche Stellen. Viele, gerade auch diejenigen, die in ihrem Beruf
angegriffen werden, verzweifeln an der Situation. Wir dürfen sie nicht alleine
lassen! Das gilt auch für die Kosten, die der Rechtsweg mit sich bringt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern fordern deswegen einen Rechtshilfefonds, der die
Opfer der Übergriffe bei Gerichts- und Anwaltskosten finanziell unterstützt,
sofern das notwendig ist.
Klar ist aber auch, dass nicht nur Staat und Sicherheitsbehörden im Umgang mit
verschwörungsideologischen und demokratiefeindlichen Umtrieben gefragt sind,
sondern ganz besonders die Zivilgesellschaft. Im kommenden Winter könnten
angesichts steigender Corona-Zahlen, der Desinformation des russischen Regimes
und einer sich möglicherweise zuspitzenden Energiekrise mehrere Faktoren
zusammenkommen, die die Agitation des extrem rechten Milieus begünstigen und wie
im vergangenen Winter zu einem größeren Demonstrationsgeschehen führen könnten.
In diesem Moment ist eine starke Reaktion derjenigen gefragt, die zu unserer
Demokratie stehen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bayern unterstützen deswegen
Gegendemonstrationen gegen „Querdenken“ und fordern alle Demokrat*innen auf,
sich daran zu beteiligen, sobald es wieder zu großen Demonstrationen des
verschwörungsideologischen Milieus kommt. Dieser Gegenprotest ist für unsere
Demokratie enorm wichtig, weswegen er durch die Sicherheitsbehörden nicht
kriminalisiert werden darf, so wie das im vergangenen Winter an einigen Stellen
geschehen ist.
Nur mit einem gemeinsamen, starken Zeichen der Zivilgesellschaft, einem
konsequenten Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen die Täter*innen aus dem
„Querdenken“-Milieu, dem wirksamen Schutz der Betroffenen und zuverlässigem
Monitoring können wir unsere Demokratie vor den Angriffen, denen sie immer
wieder ausgesetzt ist, schützen.
Begründung
Erfolgt mündlich.
Kommentare
Barbara Amrhein:
Barbara Haggenmüller:
Barbara (KV Kempten)
Ingrid Karg:
(KV Roth)
ich unterstütze diesen Antrag
Christoph Beck:
Christoph Beck (KV Schwandorf)
Martin Weberbeck:
Ich denke daher, wir müssen Straftaten klar benennen und gleichzeitig die Ängste ernst nehmen. Wenn wir jemandem, der Angst hat, erklären, seine Ideen wären absurd, dann verstärken wir die Angst. Mir ist bewusst, dass dies ein schwieriges Feld ist.
Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung und wir in Bayern Mut machen und aufzeigen, dass wir eine Strategie haben, um in Deutschland der Bedrohung, die von Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation und Klimakrise ausgeht, wirksam zu begegnen.