Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
---|---|
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Digitaler Parteitag (LDK) |
Beschlossen am: | 14.11.2020 |
Eingereicht: | 16.11.2020, 11:28 |
Antragshistorie: | Version 1 |
STÄRKUNG VON KONTROLLEN TIERHALTENDER BETRIEBE UND KONSEQUENTER VOLLZUG BEI VERSTÖSSEN GEGEN DAS TIERSCHUTZGESETZ
Beschlusstext
In Deutschland werden jährlich ca. 750 Millionen Tiere geschlachtet. Die
allermeisten werden in konventionellen Betrieben gezüchtet und gemästet. Selbst
Tiere aus biologi- scher oder weitgehend tiergerechter Tierhaltung werden im
Regelfall in Schlachthöfen ge- schlachtet, in denen auch Tiere aus
konventioneller Tierhaltung getötet werden. Die aller- meisten Schlachthöfe in
Deutschland sind „bio“zertifiziert.
Bayern gehört zu den Bundesländern mit den größten Tierbeständen bei Rindern,
Schweinen und Geflügel. Gleichwohl werden im Freistaat Betriebe bundesweit am
sel- tensten kontrolliert - im Schnitt alle 48 Jahre, wie eine Bundestagsanfrage
der FDP 2018 ergab. Weitere Anfragen, auch der Grünen, ergaben, dass in rund 20%
der Kontrollen Verstöße festgestellt werden, aber nur in 20% dieser Fälle
überhaupt Maßnahmen einge- leitet werden. Bei allen anderen Verstößen kommen die
Verursacher*innen mit der Auffor- derung zur Behebung davon.
Laut Strafrechtler Prof. Jens Bülte, Universität Mannheim, wird kein Gesetz so
oft gebro- chen, wie das Tierschutzgesetz (TSchG). Die konventionelle
Tierhaltung in Deutschland befindet sich in der Regel permanent in einem
Rechtsbruch, seit Jahrzehnten. Das Kupie- ren von Schweineschwänzen und
Schnäbeln von Geflügel, die betäubungslose Kastration männlicher Ferkeln durch
Landwirt*innen, die Haltung von Zuchtsauen in Kastenständen - all das ist
mehrfach gerichtlich bestätigter Verstoß gegen geltendes Recht. Hinzu kom- men
Verstöße gegen die Aufsichtspflicht, durch Nicht-Versorgung und -Behandlung
kran- ker Tiere, die oft tierschutzgesetzwidrig zur Schlachtung gebracht werden,
(z.B. Schweine mit Gelenkverletzungen und -entzündungen, die bei über 90% der
Tiere bei der Schlach- tung festzustellen sind) und bei Schlachtungen mit
mangelhafter Betäubung. Laut einer Anfrage der Grünen im Bundestag von 2012
werden bis zu neun Prozent der Rinder nicht richtig betäubt, bei Schweinen
beläuft sich die "Fehlbetäubungsquote" auf bis zu zwölf Prozent. Bei kleinen
Schlachthöfen liegt die Fehlbetäubungsquote bei bis zu 44% (Q: ASS 2018).
Lediglich im Tierschutz wird „Wirtschaftlichkeit“ als Grund bei Verstößen oft
strafmildernd ausgelegt und der „vernünftige Grund“ als Rechtsgrundlage für das
Töten von Tieren so ad absurdum geführt. Üblicherweise ist „Wirtschaftlichkeit“
im Strafrecht hingegen ein Merkmal von Niedertracht. Nur bei Verstößen gegen das
Tierschutzgesetz wirkt sich also Habgier strafmildernd aus.
Unzählige dieser Beispiele von Verstößen gegen das TSchG sind in Bildern, Videos
und Berichten belegt. Was ehemals als Einzelfälle bezeichnet wurde, ist
regelmäßig seit vielen Jahren eine Aneinanderreihung von Skandalen. Viele
Landwirt*innen sorgen sich im Rah- men der Auflagen und oft auch darüber hinaus
um ihre Tiere. Die Verstöße aber macht das nicht wett. Oft bleiben Konsequenzen
aus oder sind viel zu harmlos. Denn, so Prof. Dr. Jens Bülte: "Wer eine
Tierquälerei begeht, wird bestraft, wer sie tausendfach begeht, bleibt straflos
und kann sogar mit staatlicher Subventionierung rechnen."
Die sinnvollste Möglichkeit, all diese Rechtsbrüche zum Leidwesen von fühlenden,
intelli- genten und sozialen Lebewesen zu minimieren, ist ein funktionsfähiger,
effizienter und ef- fektiver Kontrollapparat sowie konsequente und finanziell
schmerzhafte Strafen. Neben Bußgeldern sind dies Gewinnabschöpfung sowie
Tierhaltungsverbote.
Deswegen setzen wir GRÜNE in Bayern uns auf politischer Ebene und in Mandaten in
Kreisen und Städten, Regierungsbezirken und im Landtag für folgende Maßnahmen
ein:
Personelle Aufstockung der Kontrollbehörden wie KBLV (Kontrollbehörde für
Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen) und Veterinärämtern
Benennung von hauptamtlichen Tierschutzbeauftragten in allen
Landratsämtern
Deutliche Taktverdichtung von unangekündigten und unabhängigen Kontrollen
auch mit Begleitung durch Polizeibeamt*innen, um die Bedrohung von Amtsve-
terinär*innen auszuschließen
Wechselnde Betreuungsbezirke, sogenannter „Rotationszwang“ bei Kontrollen,
für Amtsveterinär*innen, um persönliche Verbindungen mit Landwirt*innen zu
unterbinden
Deutliche Reduzierung von bloßen Verwarnungen mit dem Ziel einer
deutlichen Erhöhung der Anzahl an Bußgeldbescheiden und Strafverfahren bei
Verstößen gegen das TSchG
Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktdezernaten in
allen sieben Regierungsbezirken
Rechtliche, psychologische und ethische Schulung aller Beteiligten im
tier- schutzrechtlichen Kontrollapparat
Durchgehende Videoüberwachung beim Schlachtbetrieb an allen Teilstationen
mit längerer Speicherung der Daten und Zugänglichkeit für unabhängige
Stellen und bestellte Tierschutzbeauftragte, sowie im Verdachtsfall
Tierschutzvereinen oder beauftragten Sachverständigen
Über den Einfluss in Land und Kommunen hinaus: Unterstützung aller
Initiativen auf Bundesebene zur Verankerung von Verstößen gegen das
Tierschutzgesetz im Strafgesetzbuch, der Strafbarkeit des Versuchs und der
Strafverschärfung bei gewerbsmäßigen Verstößen sowie eine Anerkennung
massenhafter Verstö- ße gegen §17 TSchG als organisierte
Wirtschaftskriminalität
Quellen: