Veranstaltung: | Digitaler Parteitag (LDK) |
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Antragsteller*in: | LAG Inklusion und Behindertenpolitik (dort beschlossen am: 10.10.2020) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 12.10.2020, 16:02 |
A9: Vielfalt und gerechte Repräsentanz
Antragstext
Antragstext:
Wir Grüne sind offen für alle Menschen unserer Gesellschaft, unabhängig von
einer Behinderung, Geschlecht, Herkunft, Alter, sexueller Orientierung oder
geschlechtlicher Identität. Noch spiegelt sich leider diese Offenheit nicht in
der Zusammensetzung unserer grünen Fraktionen in den Parlamenten wider. Ein
Beispiel: Jeder 10. Mensch in Deutschland hat eine Behinderung. In der Grünen
Bundestagsfraktion mit 67 Menschen ist kein Mensch mit Behinderung bekannt,
genauso ist es in der grünen Landtagsfraktion mit 38 Menschen. In den meisten
kommunalen Parlamenten sind Menschen mit Behinderungen unterrepräsentiert. Auch
bei Menschen mit Migrationshintergrund entspricht die Vertretung in den
Parlamenten nicht dem Prozentsatz in unserer aktuellen Gesellschaft.
Das müssen wir ändern.
Daher betrachten wir es als Verpflichtung, bei den kommenden
Personalentscheidungen Grüne Vielfalt und Repräsentanz besonders benachteiligter
Gruppen mit den folgenden Instrumenten deutlich zu verbessern:
- Der Landesvorstand und der Landesausschuss werden beauftragt, ein
geeignetes Verfahren dafür zu entwickeln, z.B. über die Geschäftsordnung
für die Aufstellung der Landesliste, dass unter den ersten 10 Plätzen die
Wahl jeweils mindestens eine Person mit Behinderung, mindestens eine mit
Queerhintergrund und mindestens eine mit Migrations- bzw.
Rassismuserfahrung/People of Color vorgesehen wird. Das Frauenstatut
bleibt dabei selbstverständlich bestehen.
Die LAG Migration wird dabei einbezogen. Sie kann definieren, nach welchen
Kriterien jemand für die Migrations-Quote ausgewählt wird.
- Der Landesvorstand und der Landesausschuss werden beauftragt ein
Bayerisches Vielfaltsstatut zu entwickeln. Mit diesem Instrument wollen
wir in allen Gliederungen Vielfalt realisieren.
- Der Landesvorstand bereitet in Anlehnung an die Bundespartei die
Einrichtung eines bayerischen Diversitätsrats vor, der Themen der
Diversitätspolitik diskutiert und die Schaffung inklusiver Strukturen
vorantreibt. Sie legen dem kleinen Parteitag oder spätestens der nächsten
ordentlichen Landesversammlung ein Konzept für einen Diversitätsrat vor.
Vielen Dank!
Begründung
Begründung:
Wenn wir diesem Antrag zustimmen, bleiben wir in unserem Wunsch glaubwürdig, alle gesellschaftlichen Gruppen an dem politischen Prozess beteiligen zu wollen. Gerade für die Bundestagswahl ist das besonders wichtig, da im Bundestag Gesetze verabschiedet werden, die gerade von Diskriminierung betroffene Gruppen betreffen; zum Beispiel beim Bundesteilhabegesetz, das regelt wie Menschen mit Behinderungen am täglichen Leben selbstbestimmt teilhaben können. Im Bundestag werden auch Gesetze aus dem Asylrecht verabschiedet, die darüber bestimmen, ob jemand im Deutschland bleiben darf oder zurück in ein Krisengebiet muss.
Die kompetentesten und leidenschaftlichsten Fürsprecher*innen für eine Gruppe von Betroffenen sind Betroffene selbst. Daher ist es wichtig, dass Vertreter*innen der diskriminierten Gruppen die Chance bekommen, im Bundestag mitzubestimmen und ihre Rechte einzufordern. Darüber hinaus sind Abgeordnete von diskriminierten Gruppen die unübersehbaren Beweise, dass es diese Gruppen in unserer Gesellschaft gibt und das sie gehört werden müssen. Sie sind auch ein wichtiges Vorbild für junge Menschen aus diesen Gruppen, die dann lernen, dass sich Engagement lohnt, um zu seinem Recht zu kommen.
Wir alle wissen, dass es verbindliche Verpflichtungen braucht, wenn wir echte Chancengerechtigkeit herstellen wollen. Das beste Beispiel dafür ist unser wichtiges Frauenstatut. Dieser Antrag knüpft daran an.
Als Kriterium für eine Behinderung soll ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 % gelten.
Unterstützer*innen
- Michael Gerr (KV Würzburg-Stadt)
- Katharina Sparrer (KV Ansbach)
- Uwe Linke (KV München-Land)
- Cornelia Ermeier (KV Erding)
- Frank Dürsch (KV München)
- Peter Brückner (KV Würzburg-Land)
- Jeanne Emilia Riedel (KV München)
- Christian Rötzer (KV München)
- Helene Sigloch (KV Regensburg-Stadt)
Kommentare
Stefan Memmel:
Als grünes Mitglied, das selbst seit Geburt an zu 100 % schwerbehindert ist, erlaube ich mir hierzu einen kritischen Kommentar:
Die Intention mehr Menschen mit Behinderung in die Parlamente bringen zu wollen, ist zweifelsohne richtig und wichtig. Auf Bundesebene mag hierzu auch eine Quote ein geeignetes Mittel sein.
Jedoch sehe ich eine Quote auf Landesebene kritisch und möchte eindringlich davor warnen, diese dann vielleicht sogar auf die kommunale Ebene ausdehnen zu wollen.
Eine Quote setzt IMMER voraus, dass auch genügend (fachlich und charakterlich) geeignete Menschen vorhanden sind, die sich um die für sie reservierten Listenplätze bewerben wollen.
Bei der Bundestagswahl, bei der bayernweit nur eine Liste aufzustellen ist, dürfte es kein Problem sein genügend geeignete Menschen mit Behinderung zu finden, die bereit wären sich aufstellen zulassen und gewählt werden wollen.
Bei Land- und Bezirkstagswahlen sehe ich bei dem momentanen Mitgliederreservoir zwar auch kein allzu großes Problem, jedoch dürfte es schon schwieriger werden für alle 14 Listen (zwei pro Regierungsbezirk) genügend Menschen mit Behinderung zu finden, die hier antreten wollen.
Auf kommunaler Ebene befürchte ich allerdings nicht nur, dass diese Quote in vielen Fällen faktisch nicht zu erfüllen ist (weil sich - spitz gesprochen - einfach kein „Behinderter“ auftreiben lässt), sondern ich befürchte auch, dass es einzelne Fälle geben wird, bei denen sich Menschen mit Behinderung auf eine grüne Liste drängen werden (Motto: Ihr müsst mich wählen, ich bin der*die einzige Behinderte), die gar nichts mit grüner Politik am Hut haben und / oder die übelsten Querulant*innen sind!
Freilich werden das Einzelfälle sein; aber auch unter den Menschen mit Behinderungen gibt es „blöde“ Leute und eine Parteimitgliedschaft ist schnell beantragt.
Eine weitere Problematik, die m.E. auch in den Kontext dieses Antrags mit reingehört: Behinderung ist nicht gleich Behinderung!
Die mir bekannten Menschen mit Behinderung, die sich politisch engagieren, sind fast alle Akademiker*innen mit Körperbehinderungen! (Ich gehöre, da auch dazu, auch wenn meine Behinderung sehr leicht ist, verglichen mit Menschen, die im E-Rollstuhl sitzen und 24-Stunden Assistenz benötigen.)
Wie aber soll gewährleistet werden, dass auch die spezifischen Belange der Menschen mit psychischen oder kognitiven Einschränkungen oder schwersten Mehrfachbehinderungen adäquat berücksichtig werden?
Sicherlich muss in diesem Zusammenhang auch schmerzlich anerkannt werden, dass sich zwar die meisten Menschen mit Behinderung am Besten selbst vertreten können, aber eben auch nicht alle! (Manche sind nun einmal so schwer betroffen, dass sie trotz bester Förderung und Inklusion, nie für sich selbst sprechen werden können.)
Evtl. wäre ein Beirat sinnvoll, indem für die einzelnen „Behinderungsgruppen“ (kognitiv, sinnesbeeinträchtigt, psychisch, Rollstuhlfahrer usw.) ausgewählte Vertreter*innen sitzen, der dann zu allen Inklusions- / und sozialpolitisch relevanten Vorhaben der Partei, bzw. der Fraktionen in den Parlamenten Stellung nimmt, bzw. auch Themen an die Entscheidungsträger heranträgt. Vielleicht könnten diese Beiräte sogar für ihre Arbeit monetär (durch die Partei) entschädigt werden.
Michael Gerr:
danke für deinen Kommentar, der sicher Probleme aufwirft, die befriedigend zu beantworten sind, mindestens. Ich bin aber sicher, man kann sie auch gut beantworten. Mit der Frauenquote haben wir seit Jahren Erfahrungen sammeln können, wie sich das konkret umsetzen lässt und es sind ganz ähnliche Gegenargumente immer wieder gefallen.
Es ist ganz sicher der richtige Anspruch, wenn du sagst Mandate oder Wahlämter sind durch fachlich kompetente und insgesamt geeignete Leute zu besetzen, die auch nicht nur für ein Teilthema stehen, sondern insgesamt die Grünen gut vertreten können. Diesen Anspruch haben wir auch bei quotiert gewählten Frauen. Sicher wurden in der Vergangenheit sowohl Frauen als auch Männer hier und da gewählt, die sich nicht wie erhofft bewährten und dann eben bei der nächsten Wahl nicht mehr gewählt wurden. So funktioniert eben Demokratie.
Aber auch wenn es keine große Auswahl gibt oder tatsächlich nur eine Person für einen Posten antritt, ob quotiert oder nicht quotiert, sie muss die Hürde von 50 Prozent nehmen, sonst ist sie nicht gewählt. Ich selber habe einmal erlebt, dass eine Frau, die sich augenscheinlich nicht bewährt hatte (ich rede von der kommunalen Ebene), beim zweiten mal keine 50% erhielt, obwohl es keine Gegenkandidatin gab. Also blieb der Posten zunächst frei. So wäre es auch bei einer Vielfaltsquote. Im Bereich von Ämtern (KV-Vorständen usw.) könnte man solche Vielfaltsposten einfach freihalten bis zumindest eine geeignete Person antritt und gewählt wird. Bei Listen ist es ähnlich möglich, ohne ein 50% Quorum erfolgt keine Wahl. Hier würde so ein Platz allerdings geöffnet werden müssen, eine Option die auch das Frauenstatut enthält.
Ich teile deine Bedenken, wie das auf Landes- oder Bezirksebene funktionieren kann im Ansatz. Eine Quote für Vielfalt, die auch noch mehrere Merkmale abdecken soll, funktioniert erst bei Gremien, die groß genug sind oder Listen mit ausreichend aussichtsreichen Plätzen. Wenn man also eh nur mit Wahlerfolg von ein oder zwei Personen zu rechnenen ist, macht eine Quotierung überhaupt keinen Sinn mehr, außer man denkt sie wiederum überregional. Für den Landtag würde ich mir schon auch wünschen, dass eine geeignete Person auf einer der Bezirkslisten antritt und Unterstützung erhält. Durch das Wahlsystem ist es schwieriger das hinzukriegen, denn eine Direktkandidatur ist praktisch Voraussetzung.
Was einen möglichen Beirat angeht, so ein Gremium ist ja genau der Vielfaltsrat, der auf Bundesebene bereits auf dem Weg ist und der im Antrag oben unter 3. beantragt ist. Ich kenne es aus kommunalen Beiräten, dass man dort bestimmte Beeinträchtigungsgruppen bildet. Ich bin nicht sicher, ob das bei den Grünen zielführend ist. Ich würde eher den behinderungsübergreifenden Politikansatz vertreten, aber man könnte vielleicht auch beides zusammenführen.
Peter Brückner:
fast jede Veränderung fängt meiner Erfahrung nach mit einer kontroversen Diskussion an. Für mich ist dieser Antrag zum jetzigen Zeitpunkt der Anfang einer wichtigen Diskussion, die dann irgendwann dazu führen soll, dass Menschen mit Behinderung auch in den politischen Gremien angemessen vertreten sind.
Ich gebe dir recht, dass es momentan schwer vorstellbar ist gerade auf kommunaler Ebene genug geeignete Kandidat*innen mit Behinderung zu finden. Aber ich denke unsere Ziele sollten sich nicht nur am garantiert Machbaren orientieren sondern ruhig auch ehrgeiziger sein. Natürlich darf das auch nicht dazu führen, dass wir uns selbst komplett blockieren, aber das sehe ich nicht, zumindest dann nicht, wenn der Änderungsantrag mitberücksichtigt wird.
Ich teile allerdings auch deine Bedenken, dass die Gefahr besteht, die Verschiedenartigkeit von Behinderung aus dem Blick zu verlieren und dass unter Umständen besonders die von dir als Beispiel erwähnten Akademiker*innen mit Körperbehinderung dadurch sehr gut repräsentiert sein werden während Menschen mit anderen Behinderungen unterrepräsentiert sein werden oder gar nicht auf den Listen auftauchen werden. Aber das zu verhindern liegt dann auch an uns allen und wird uns dann in einem nächsten Schritt fordern. Ich bin zuversichtlich, dass mit dem Antrag ein wichtiger Schritt zu mehr Inklusion auch in den politischen Gremien gemacht werden kann und unterstütze den Antrag aus diesem Grunde.