Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Antragsteller*in: | Stefan Schmidt MdB (KV Regensburg-Stadt) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 03.01.2019, 22:06 |
A9: Drogenproblematik in Bayern: Kein Mensch darf aufgegeben werden! Hilfe, Aufklärung der Betroffenen und Unterstützung der Ärzt*innen und Helfer*innen, in Stadt und Land
Titel
Antragstext
Es ist ein trauriger Fakt: Seit 2012 steigt die Zahl der Drogentoten in
Deutschland wieder an, und vor allem Bayern ist im bundesweiten Vergleich mit
zuletzt über 300 Opfern jährlich Spitzenreiter dieses Armutszeugnisses. Die
Ursachen dafür sind vielfältig, und zu den bekannten, verbotenen Substanzen wie
Heroin gesellen sich immer häufiger legal zu beschaffende Substitute wie
Fentanyl oder auch die sogenannten NPS – Neue psychoaktive Substanzen, auch
bekannt unter dem Namen „Legal Highs“, „Badesalze“ oder „Räuchermischungen“.
Diese sind in zunehmenden Maße für die hohe Anzahl von Todesfällen durch
Medikamenten- bzw. Drogenmissbrauch verantwortlich, da eine gezielte Dosierung
kaum möglich ist.
So ist beispielsweise die Zahl der Sicherstellungsfälle und Ermittlungsverfahren
mit Bezug zu Fentanyl bei der bayerischen Polizei zwischen 2011 und 2015
sprunghaft angestiegen – auch hier führt der Freistaat die Statistik mit
erheblichem Vorsprung an. In den Jahren 2011 bis 2015 entfielen regelmäßig über
70% oder mehr der Fentanyl-Drogentoten in Deutschland allein auf Bayern.
Zusätzlich hat das nordöstliche Bayern nach wie vor mit dem hohen Aufkommen von
Crystal Meth zu kämpfen. Es vergeht kaum eine Woche, kaum ein Tag ohne
entsprechende Meldungen der lokalen Presse über Aufgriffe von Schmuggelware
und/oder Konsument*innen. In den Jahren 2007 – 2016 hatte die Oberpfalz
bayernweit die insgesamt meisten Drogentoten durch Crystal Meth zu beklagen.
All diese Szenarien zeigen nur zu deutlich, dass die bisherige Repressions- und
Verbotspolitik der Bayerischen Staatsregierung die Situation nicht zu verbessern
vermag – im Gegenteil, sie hinkt den Entwicklungen auf dem Drogenmarkt ständig
hinterher. Gleichzeitig wird der rechtliche Rahmen für die Einrichtung von
unmittelbaren Hilfestellen wie Drogenkonsumräumen nach wie vor nicht
ausgeschöpft. Die Bayerische Staatsregierung nimmt damit leichtfertig den Tod
von Menschen in Kauf, der ohne weiteres verhindert werden könnte. Werte wie
Menschlichkeit und Gemeinwohl, auf die Bayern sich in seiner Verfassung beruft,
werden somit systematisch untergraben. Stattdessen sieht die Bayerische
Staatsregierung Drogenkonsumräume lediglich als Makel im „sauberen“ Gesicht
ihrer Städte und Gemeinden an. Dabei sind sie eine Möglichkeit,
Drogenkonsumenten bei Fehldosierungen unmittelbar in ärztliche Behandlung
übergeben zu können, Suchtkranke direkt zu erreichen, Beratungsangebote zu
vermitteln und Ansteckungsgefahren durch unsauberes Besteck zu vermeiden.
Stattdessen konzentriert man sich weiterhin einseitig auf Repression statt
Prävention; letztere findet vorrangig, aber auch nicht ausreichend bei den
legalen Drogen Alkohol und Tabak statt. Alles andere wird lieber tabuisiert
statt thematisiert – obwohl die Nachfrage für Präventionsprogramme durch Schulen
und andere Bildungseinrichten ungebrochen hoch ist.
Dieser halbherzigen Nebenerwerbspolitik wollen wir eine grüne Lösung
entgegensetzen, die auf Zusammenhalt und Unterstützung basiert. Statt einerseits
Drogenkonsument*innen als Kriminelle hinzustellen und andererseits auf jedem
Volksfest stolz Maßkrüge in die Kameras zu halten, machen wir Grüne deutlich,
dass Rausch und Sucht nicht durch Verbote aus der Welt geschafft werden. Sucht
muss endlich im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen werden. Menschen mit
Suchtproblemen haben unsere Solidarität – wir geben niemanden auf!
Es braucht darüber hinaus eine wesentlich bessere Vernetzung staatlicher und
privater Einrichtungen und Kampagnen, um einerseits die Präventionsmaßnahmen zu
stärken und andererseits Hilfs- und Beratungsangebote effektiv und zielgerichtet
dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden.
Es ist höchste Zeit, die Zahl der Drogentoten im Freistaat zu senken. Zu diesem
Zweck ist es unerlässlich, flächendeckend Drogenkonsumräume einzurichten, um
schnellstmögliche medizinische Versorgung bei einer Fehldosierung zu
gewährleisten. Darüber hinaus ermöglichen Drogenkonsumräume einen wesentlich
sichereren und saubereren Umgang mit Sucht. Der Freistaat muss hier den
notwendigen Rahmen zur Umsetzung schaffen, wie es etwa auch der Bayerische
Bezirketag fordert. Wir fordern, dass die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in
Bayern endlich nachgeholt wird.
Um eine langfristige Verbesserung der Situation in Bayern zu gewährleisten, muss
außerdem die Basis für eine nachhaltige Finanzierung verschiedener Hilfsangebote
geschaffen werden. Bisher ist die Finanzierung von Suchthilfeprojekten in Bayern
abhängig von der allgemeinen Haushaltslage. Um jedoch eine effektive Wirkung zu
entfalten, muss es möglich sein, Projekte und Hilfsangebote über einen längeren
Zeitraum zu planen und einzusetzen, ohne jährlich um die neuerliche Bewilligung
von Geldern bangen zu müssen. Gleichzeitig braucht es auch ein Programm, das es
nichtstaatlichen Initiativen ermöglicht, kurzfristige Engpässe und ähnliche
Unwägbarkeiten zu überbrücken. So geschehen mit der erfolgreichen Kampagne Need
NO Speed im Raum Weiden/Tirschenreuth, die erst in letzter Sekunde vor dem
abrupten Ende durch den Absprung ihres bisherigen Trägers bewahrt werden konnte.
Wir fordern daher die Einrichtung eines eigenen Haushaltspostens in Bayern für
Drogenprävention und die Unterstützung von privaten Angeboten.
Doch nicht nur in den Städten müssen weitere Angebote geschaffen werden, auch
der ländliche Raum darf mit dieser Problematik nicht allein gelassen werden. Im
Gegensatz zur Anonymität der Stadt braucht es insbesondere auf dem Land
Lösungen, die den Menschen Beratung und Hilfe bieten, ohne befürchten zu müssen,
von der dort umso wichtigeren Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen oder
stigmatisiert zu werden. Wir fordern daher die nachhaltige Einrichtung und
regional wirksame, breite Bewerbung weiterer Beratungsmöglichkeiten im
ländlichen Raum mit besonderer Berücksichtigung verstärkt betroffener Gebiete.
Wenn jede Prävention versagt und ein Mensch drogensüchtig wird, hinterlässt der
Konsum früher oder später seine Spuren – vor allem für ein medizinisch
geschultes Auge sind diese schneller und besser erkennbar. Allgemeinärzte können
bei Anzeichen von Drogenkonsum bei ihren Patienten Beratungsgespräche in einem
vertraulichen Rahmen anbieten und so die ersten Schritte hin zur Wahrnehmung
eines Hilfsangebots oder einer entsprechenden Behandlung fördern und begleiten.
Dazu braucht es aber entsprechende monetäre und systemische Anreize, damit
Allgemeinärzt*innen die Möglichkeit für diese zusätzliche Aufgabe auch
wahrnehmen können und wollen. Wir fordern daher eine Möglichkeit der Abrechnung
von Erstberatungs- und Suchtberatungsgesprächen für Allgemeinärzt*innen.
Wir Grüne begrüßen, dass Substitutionstherapien jetzt stärker durch die
Ärzt*innen bestimmt werden können. Nur so kann den Konsument*innen individuell
passgenau geholfen werden. Es war überfällig, die Betreuung von substituierenden
Ärzt*innen rechtssicher auszugestalten. Unser Ziel ist es, dass noch mehr
Ärzt*innen Substitutionsbehandlungen vornehmen, um auch in weniger dicht
besiedelten Regionen Bayerns Suchtkranken die Möglichkeit zu geben, ein Leben
ohne Sucht zu führen. Ferner muss sichergestellt werden, dass die Nachsorge von
ehemaligen Suchtkranken so gestrickt ist, dass sie möglichst schnell wieder
umfassend am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Unabhängig von der Frage der Legalität sind Drogen auch in Bayern sehr
verbreitet. Deren Zusammensetzung ist jedoch häufig unklar, sodass die Wirkung
regelmäßig nicht oder nur unzureichend eingeschätzt werden kann oder Menschen
unerwünschte Substanzen zu sich nehmen. Drug-Checking soll Konsument*innen
ermöglichen, Drogen auf ihre Wirkstoffe chemisch analysieren zu lassen. Sie
können dadurch Risiken einschätzen und unbeabsichtigte Wirkungen vermeiden. Um
Drug-Checking modellhaft einzuführen, wollen wir als ersten Schritt
Rechtssicherheit dafür schaffen.
Unterstützer*innen
- Tina Winklmann (KV Schwandorf)
- Jürgen Mistol MdL (KV Regensburg Stadt)
- Stefan Christoph (KV Regensburg Stadt)
- Anna Toman MdL (KV Tirschenreuth)
Änderungsanträge
- Ä1 (Eva Lettenbauer MdL (KV Donau-Ries), Eingereicht)
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