Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Anträge |
Antragsteller*in: | Beate Walter-Rosenheimer (KV Fürstenfeldbruck) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 13.09.2019, 11:57 |
A6: Mut und Unterstützung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche. Mehr Sichtbarkeit für „Schattenkinder“ aus psychisch kranken Familien.
Antragstext
In Bayern gibt es viele Kinder und Jugendliche, die psychisch krank sind, von
psychischer Erkrankung bedroht sind oder die in einer Familie mit psychisch
kranken Angehörigen leben.
Laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayerns (KVB) liegt für fast 470 000 Kinder
und Jugendliche die Diagnose einer psychischen Störung beziehungsweise einer
Entwicklungsstörung vor. Erfasst wurden hier nur Kassenpatient*innen.
Angesichts solcher Zahlen ist es allerdings wichtig, genauer zu differenzieren
und zu hinterfragen: Nicht jedes Kind, das sich nicht „normgerecht“ verhält,
nicht stillsitzen kann oder nicht gerne lernt, ist psychisch krank oder in
seiner Entwicklung verzögert. Keinesfalls sollte Kindern und Jugendlichen
vorschnell das Etikett einer Störung aufgedrückt werden. Hier gilt für alle
Fachleute, genau hinzusehen und nicht überhastet zu diagnostizieren.
Betroffene Kinder und Jugendliche sind in allen Altersstufen zu finden, denn
bereits im ersten Lebensjahr können Störungen auftreten. Nach wie vor ist Suizid
die zweithäufigste Todesursache (nach Unfällen) von jungen Menschen im Alter
zwischen 15 und 20 Jahren.
Diese Kinder und Jugendlichen brauchen Hilfe und Unterstützung, ebenso wie ihre
Familien. Der Umgang mit psychisch kranken Kindern ist eine Herausforderung für
das gesamte Umfeld. Gerade innerhalb der Familie sind alle Beteiligten (Eltern,
Geschwister) stark belastet, dies kann für die gesamte Familie zu Problemen
führen. Es gibt viel zu wenige Therapieplätze, die Wartezeiten, besonders auf
dem Land, sind zu lang. Monate sind in einem Kinderleben mit rascher Entwicklung
eine gefühlte Ewigkeit. In dieser Zeit können sich viele Probleme verschärfen
und sich weiter ausprägen. Zudem werden psychische Erkrankungen oftmals zu spät
erkannt und diagnostiziert.
Zu den Kindern, die selbst an psychischen Störungen leiden, kommen noch die so
genannten „Schattenkinder“, die in Familien mit mindestens einem psychisch
kranken Elternteil leben. Ca. 30% der Erwachsenen leiden an einer psychischen
Störung oder Suchterkrankung. Und viele von ihnen haben Kinder. Diese werden
bisher oft vergessen. Dabei sind sie stark von der Erkrankung ihrer Eltern
betroffen. Bundesweit geht man von ca. drei bis vier Millionen betroffenen
Kindern aus, die einen vorübergehend, wiederholt oder dauerhaft psychisch
erkrankten Elternteil haben.
Wenn Eltern an einer psychischen Erkrankung leiden, sind die Kinder bereits im
Kindes- und Jugendalter besonderen Belastungen ausgesetzt. Sie kümmern sich
häufig um ihre Eltern und Geschwister, versuchen die Familie zusammen zu halten
und übernehmen so innerhalb des Familiensystems eine Rolle, die nicht
altersgerecht ist.
Auch noch als Erwachsene haben viele dieser Kinder Probleme, die psychische
Erkrankung eines Elternteils positiv zu verarbeiten. Sie fühlen sich um eine
unbeschwerte Kindheit und Jugend betrogen und geben oft dem erkrankten Vater
oder der Mutter die Schuld daran. Häufig erfahren die betroffenen Kinder nur
unzureichende emotionale Unterstützung und Fürsorge. Zudem können sie
elterlichem Verhalten ausgesetzt sein, das sich kritisch auf ihre Entwicklung
auswirken kann. Sie müssen früh zu viel Verantwortung übernehmen.
Neben diesen unmittelbaren Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Eltern
auf die Kinder, haben sie darüber hinaus statistisch gesehen eine drei- bis
vierfache höhere Disposition – je nach Erkrankung - ebenfalls zu erkranken.
Gerade mit Blick auf die steigende Zahl von psychischen Erkrankungen ist der
dringende Handlungsbedarf offensichtlich. Es braucht eine umfassende
Unterstützung der ganzen Familie.
Kinder psychisch kranker Eltern sind ganz besonders auf ein unterstützendes
soziales Umfeld sowie auf fachlich qualifizierte Hilfe und Versorgung
angewiesen. Sie und ihre Familien benötigen gegebenenfalls sowohl
alltagspraktische Unterstützung als auch klinische bzw. psychotherapeutische
Versorgung. Ihr Hilfsbedarf umfasst ein breites Spektrum, das von
niedrigschwelliger und gegebenenfalls punktueller Unterstützung über
familienunterstützende Maßnahmen reicht.
Psychische Erkrankungen werden immer noch stigmatisiert und das
gesellschaftliche Bewusstsein und das Wissen darüber sind nach wie vor gering.
Die Scham über die eigene Erkrankung oder die Erkrankung eines Familienmitglieds
verschärft die Belastungen zusätzlich. Und lässt Menschen zu lange warten, bis
sie sich jemandem anvertrauen.
Bis Hilfe aufgesucht wird, vergeht deswegen oftmals wertvolle Zeit, die gerade
bei Kindern und Jugendlichen so wichtig ist. Dazu kommt dann die chronische
Unterversorgung mit ambulanten psychologischen und/oder psychiatrischen
Einrichtungen.
Verschiedene Studien und Verbände bestätigen die hohe Aktualität des Themas und
den dringenden Handlungsbedarf. Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages
befasste sich bereits Anfang 2013 intensiv mit der Situation von Kindern
psychisch kranker Eltern. In ihrer Stellungnahme vom 4. Juni 2013 weist sie
ausdrücklich auf die Bedeutung einer flächendeckenden Versorgung mit vernetzten
Hilfen hin.
Wir fordern:
1) Eine verbindliche interdisziplinäre Kooperation der beteiligten
professionellen Akteur*innen und Hilfesysteme wie Gesundheitswesen,
Kindertagesbetreuung, Schule und Jugendhilfe.
2) Verbindliche Standards der Versorgung, um Verantwortlichkeit und
Zuständigkeit in der fallbezogenen interdisziplinären Zusammenarbeit zu
vereinbaren. Dies muss immer unter Einbeziehung der Eltern und Kindern
geschehen.
3) Eine Aufklärungskampagne, mit der die Bevölkerung über psychische
Erkrankungen sowie über Beratungsangebote und Therapiemöglichkeiten informiert
wird und die der Stigmatisierung psychisch Erkrankter* entgegengewirkt und eine
Enttabuisierung in Gang setzt. Die klar macht, dass auch Kinder und Jugendliche
betroffen sind. Es kann jede*n treffen, das muss den Menschen klar werden
(Aufklärung analog „Bündnis gegen Depression). Auch Kinder psychisch kranker
Eltern sollen explizit angesprochen werden und Materialen entwickelt und
verbreitet werden, die diese Kinder altersgemäß aufklären.
4) In der Aus- und Weiterbildung von Professionen, die an der Versorgung von
Kindern mit psychischer Erkrankung oder mit Kindern psychisch kranker Eltern
beteiligt sind, verbindliche Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema als
festen Bestandteil zu integrieren; Früherkennung von psychischen Problemen zu
fördern und Anleitung zum adäquaten Handeln zu geben.
5) Mehr Therapieplätze für Kinder und Jugendliche, vor allem auf dem Land, für
stationäre und ambulante Versorgung von psychisch kranken Kindern und
Jugendlichen.
6) Transparente, leitlinien- und bedarfsgerechte Behandlung von Kindern und
Jugendlichen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Transparenz muss durch
Monitoring sichergestellt werden. Zwangsmaßnahmen sind schwere
Grundrechtseingriffe und dürfen nur im Sinne einer „ultima ratio“ angewendet
werden, wenn alle milderen Maßnahmen ausgeschöpft wurden.
7) Anschlusstherapien nach einem stationären Aufenthalt, um erreichte Ziele zu
stabilisieren.
8) Niedrigschwellige Unterstützungsangebote und Netzwerke, nicht nur für
Betroffene, sondern auch für Angehörige und Freund*innen.
9) Mehr wissenschaftliche Studien, die spezifische Belastungen von Betroffenen
und ihren Familien über einen längeren Zeitraum beobachten, um sie besser
einschätzen und angemessen darauf reagieren zu können.
10) Flächendeckend mehr niederschwellige psychiatrische Krisendienste für Kinder
und Jugendliche.
Ziel muss sein: Psychische Erkrankungen und Belastungen bei Kindern und
Jugendlichen früh zu erkennen, schnell zu therapieren und eine
Entstigmatisierung in der Gesellschaft voran zu treiben. Niemand soll sich mehr
wegen einer psychischen Erkrankung schämen, sich zurückziehen und zu lange ohne
Hilfe bleiben müssen.
Unterstützer*innen
- GJ Bayern
- GJ München
- Doro Sührig (KV Weilheim-Schongau)
- Uwe Kekeritz (KV Neustadt/Aisch)
- Andreas Krahl (KV Garmisch-Partenkirchen)
- Sanne Kurz (KV München-Stadt)
- Sigi Hagl (KV Landshut-Stadt)
- Maxi Deisenhofer (KV Günzburg)
- Kerstin Celina (KV Würzburg-Land)
- Ami Lanzinger (KV Erding)
- Christoph Sticha (KV Erding)
- Stefan Schmidt (KV Neumarkt)
- Thomas Gehring (KV Oberallgäu)
- Lisa Badum (KV Forchheim)
- Ulrike Taukert (KV Neustadt/Aisch)
- Johannes Becher (KV Freising)
- Christina Haubrich (KV Aichach/Friedberg)
- Linda Summer-Schlecht (KV München-Stadt)
- Manuela Rottmann (KV Bad Kissingen)
- Ekin Deligöz (KV Neu-Ulm)
- Claudia Köhler (KV München-Land)
- Petra Tuttas (KV München-Stadt)
- Barbara Fuchs (KV Fürth-Stadt)
- Pierrette Herberger-Fofana (KV Erlangen)
Änderungsanträge
- Ä1 (Helene Sigloch (KV Regensburg-Stadt), Eingereicht)