Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Anträge |
Antragsteller*in: | Manuela Rottmann (KV Bad Kissingen) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 16.09.2019, 10:45 |
A8: Die Bahn zurück in die Fläche holen – Reaktivierung und Ausbau von Bahnstrecken als Chance für die Verkehrswende in Bayern nutzen
Antragstext
Keine Verkehrswende ohne Bahninfrastruktur
In Bayern wurden in den letzten Jahren nur wenige Bahnstrecken ausgebaut und
fast keine brachliegenden Strecken reaktiviert. Die zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts gehörte- gerade bei uns- dem Auto. Doch wir brauchen eine neue Form
der Mobilität: Eine, die uns klimaschonend, sicher und bezahlbar dorthin bringt,
wo wir wollen. Auch wenn wir sehr alt sind oder zu jung für den Führerschein.
Das kann das Auto, dem in den vergangenen Jahrzehnten viel Fläche geopfert
worden ist, nicht mehr alleine leisten. Die Verkehrswende bedeutet mehr, als
Verbrennungsmotoren durch andere Antriebe zu ersetzen. Das Verkehrsangebot der
Zukunft muss eine Antwort auf die Zunahme hochbetagter Menschen geben, muss für
gleichwertige Lebensverhältnisse für Kinder, Jugendliche, Pendlerinnen und
Pendler in der Stadt und auf dem Land sorgen, muss für alle bezahlbar sein und
mehr Verkehrssicherheit mit weniger Treibhausgasemissionen verbinden.
Das Auto wird auf dem Land auch in Zukunft eine Rolle spielen. Neue
Mobilitätsangebote wie Leihsysteme für Auto, Rad, Mitfahrangebote und Rufsysteme
müssen ausgebaut werden. Aber das Rückgrat dieser Verkehrswende wird die Bahn
sein. Nur ein Ausbau der Bahn in der Fläche kann den öffentlichen Nahverkehr
insgesamt so beschleunigen, dass er zur attraktiven Alternative zum Auto wird.
Die Reaktivierung und der Ausbau vorhandener Bahnstrecken ist gegenüber jeder
Neuplanung deutlich schneller zu realisieren. Jede frühere Bahnstrecke in
Bayern, die noch nicht entwidmet oder noch nicht wieder bebaut ist, birgt
grundsätzlich eine Chance für eine schnelle Verbesserung des Verkehrsangebots in
der Fläche, ebenso die Elektrifizierung und die Kapazitätserweiterung
vorhandener Strecken. Bahnstrecken weiterhin zu entwidmen und die Grundstücke zu
verkaufen wie in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts
zerschlägt für viele Jahre diese Chance auf eine moderne Mobilität, und damit
Zukunftschancen des ländlichen Raums.
Das haben andere Bundesländer wie Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen
längst erkannt. Dort wird seit mehreren Jahren erfolgreich eine aktive
Reaktivierungs- und Ausbaupolitik in der Fläche betrieben. Die deutlich bessere
Erschließung des ländlichen Raums durch den Öffentlichen Personennahverkehr ist
nicht zuletzt auf diese aktive Bahnpolitik zurück zu führen. Die Unterschiede
beginnen schon bei der Bewertung des Reaktivierungspotenzials: Während die
Kriterien der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) in erster Linie aus der
Auslastung der konkreten Streck bis zum Endpunkt – und zweitrangig aus dem
Anschlusspotential bestehen - legt das Land Hessen seiner Einschätzung eine
Kriterienmatrix zu Grunde, die die Effekte einer neuen Zubringerstrecke für die
Auslastung vorhandener Strecken deutlich stärker berücksichtigt. Hessen ist
damit erfolgreich. Sämtliche Reaktivierungen der vergangenen Jahre haben die
Erwartungen übertroffen, die Nachfrage war überall größer als im Voraus
angenommen. In Baden-Württemberg hat das Land 41 Strecken zur potentiellen
Reaktivierung identifiziert, die bis 2020 geprüft werden. Zwischen 1994 und 2019
wurden in Baden-Württemberg 144 km Strecke reaktiviert, in Bayern waren es im
selben Zeitraum nur 80 km. Beide Länder finanzieren nicht nur die Planung von
Reaktivierungen, sondern beteiligen sich auch an den erforderlichen baulichen
Investitionen, an der Verbesserung der Attraktivität der Bahnhöfe und an der
Entwicklung von Angeboten vom Bahnhof nach Hause, sei es über den Bus oder über
andere Formen der Mobilität.
Auch in Bayern liegen stillgelegte, grundsätzlich nutzbare und teils nicht
entwidmete Strecken brach, alte Linienführungen können wieder aufgegriffen
werden. Wir brauchen jetzt eine schnelle und sorgfältige Prüfung von
Reaktivierungsmöglichkeiten als Startpunkt für die Verkehrswende. Zur Stärkung
der Mobilität im ländlichen Raum bedarf es nach einer erfolgreichen
Reaktivierung zudem ergänzender Angebote für "die letzte Meile" Car- bzw
Bikesharing-Angebote, Rufsysteme und, eine systematische Vernetzung mit dem
Busverkehr und eine Ausweitung der Kapazitäten bei der Fahrradmitnahme.
So reduzieren wir den Bedarf an individuellem Kraftwagenverkehr und ermöglichen
den Bürgerinnen und Bürgern eigenständige Mobilität unabhängig von der
individuellen Lebenssituation und den finanziellen Möglichkeiten, von Haustür zu
Haustür, schaffen gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land und entlasten
so auch die Ballungsräume von weiterem Zuzug.
Deswegen ist es jetzt höchste Zeit, das Potenzial der Bahn in Bayern neu zu
bewerten und zu heben. Wer dabei alleine aus den Erfahrungen des zwanzigsten
Jahrhunderts auf die Chancen der Bahn in der Zukunft schließen will, der springt
zu kurz. Denn es hat sich viel verändert, was dafür spricht, in Bayern auch in
der Fläche auf die Bahn zu setzen:
- Mit der Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke Nürnberg-Erfurt ist die
Fernverkehrsanbindung von Nordbayern nach Süden und Norden deutlich besser
geworden. Städte wie Bamberg, Coburg und das benachbarte Erfurt bieten
jetzt schnelle Verbindungen nach Nürnberg, München und Berlin. Wer also in
den Nahverkehrszug steigt, kommt heute viel schneller viel weiter als vor
wenigen Jahren.
- Die Digitalisierung ermöglicht die einfache Verknüpfung von
unterschiedlichen Verkehrsträgern zu einem durchgängigen Angebot von
Haustür zu Haustür, wie es bisher nur das Auto bieten konnte.
- Neue Antriebstechnologien wie Wasserstoffzüge ermöglichen
klimafreundlichen Verkehr auf Nebenstrecken auch ohne Elektrifzierung.
Moderne Bahnen können verschiedene Strecken nutzen und die
Verkehrsbedürfnisse auch innerhalb von kleinen Städten genauso gut
erfüllen wie die Anbindung von Regionen. Sie sind deutlich leiser als die
Bahn des vergangenen Jahrhunderts, flexibler und raumverträglicher, weil
die Schienenwege die Ortschaften nicht mehr durchschneiden, sondern sich
in den Straßenraum integrieren lassen.
- Doppelverdienerehen, die Qualifizierung der Arbeitsplätze und ein Rückzug
der gesundheitlichen Grundversorgung und vieler sozialer und
Bildungsangebote aus der Fläche lassen den Bedarf nach Mobilität überall
steigen, gerade aber auf dem Land.
- Bahnanschlüsse sind ein Standortvorteil: Damit das Land im Wettbewerb um
Arbeitskräfte und Innovation nicht abgehängt wird, muss die Bahn in die
Fläche zurück.
Jetzt die Verkehrswende einzuleiten, ist schon alleine aufgrund der drohenden
Klimakatastrophe eine Aufgabe, die wir nicht mehr aufschieben können. Vor diesem
Hintergrund ist es fahrlässig, die noch vorhandenen Bahnlinien in Bayern zu
vernachlässigen oder zu verscherbeln. Im Gegenteil: Jetzt brauchen wir sie
wieder. Jetzt können sie zum Grundnetz der Verkehrswende werden.
Doch die Bayerische Staatsregierung bleibt passiv. Anstatt, wie Hessen oder
Baden-Württemberg von Landesseite aktiv die Potenziale noch vorhandener Strecken
zu ermitteln und Planungen – auch auf Vorrat - voranzutreiben, wird diese
Aufgabe allein den Kommunen überlassen. Dabei sind aufwändige, Kreis- und
Bezirksgrenzen überschreitende Gutachten gerade für Kommunen in
strukturschwachen Räumen schwer zu stemmen. Auch für Investitionen zur
Wiederinbetriebnahme von Eisenbahninfrastruktur fühlt sich das Land nicht
zuständig. Dafür will die Koalition aus CSU und Freien Wählern keinen Cent
ausgeben. Die Verkehrswende in Bayern wird von der Staatsregierung als Do-it-
yourself-Projekt behandelt, in dem die Kommunen und ehrenamtliche Fördervereine
leisten und finanzieren sollen, was im Bereich des Straßenbaus allein Sache der
Steuerzahler und der staatlichen Bauverwaltung ist. Das kann nicht
funktionieren. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen im ländlichen Raum,
die einen Verfassungsanspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse auch im
Bereich der Mobilität haben. Auch der Ausbau vorhandener Strecken kommt in
Bayern nicht voran. Von der Elektrifizierungsstrategie des Freistaats hat man
seit April 2018 nichts mehr gehört. Die sichtbare Aktivität der Staatsregierung
beschränkt sich darauf, Strecken zur Elektrifizierung an das
Bundesverkehrsministerium für das im Bund angekündigte Programm zu melden. Da
das ebenfalls CSU-geführte Verkehrsministerium im Bund genauso wie das in Bayern
nach wie vor dem Straßenbau den Vorrang einräumt, kommt das der Verlegung vom
Landesablagestapel auf den Ablagestapel im Bund gleich. Richtiger wäre es, nicht
auf den Bund zu warten, sondern – wie es Bayern seit langem im Straßenbau tut –
auch bei der Bahninfrastruktur endlich „auf Vorrat“ zu planen, um so mit
fertigen Konzepten erfolgreich um Bundesmittel werben zu können.
Reaktivierungspotentiale prüfen, laufende
Entwidmungsverfahren stoppen, ganzheitliche
Mobilitätskonzepte fördern
Wir Grüne fordern eine aktive Bahninfrastrukturpolitik in Bayern. Dazu gehört:
- Systematisch und flächendeckend alle potenziellen Reaktivierungen und
Verbesserungen (Elektrifizierung, Schaffung von Überholmöglichkeiten) der
noch vorhandenen Nahverkehrsstrecken und auch bereits entwidmeter
Strecken, die noch nicht bebaut sind (zum Beispiel Bahnradwege) in Bayern
unter Berücksichtigung ihres Fahrgastpotenzials, der Möglichkeit eines
wirtschaftlichen Betriebs, ihrer Auswirkungen auf die regionale
wirtschaftliche Entwicklung und ihres Potenzials zur Reduktion des
Treibhausgasausstoßes durch unabhängige, vom Land finanzierte Gutachten zu
prüfen. Dabei sind mögliche Wechselwirkungen auf die Nachfrage im
Gesamtnetz bei Wiederinbetriebnahme einzelner Strecken einzubeziehen,
- auf Grundlage dieser Gutachten eine langfristige
Bahninfrastrukturstrategie für ganz Bayern zu entwickeln, die die
Investitionen in den Ausbau und die Reaktivierung von Nahverkehrsstrecken
mindestens für die nächsten zehn Jahre verbindlich priorisiert (Masterplan
Bahninfrastruktur Bayern 2030) und damit das langfristige
Verkehrsinteresse des Freistaats an Bahninfrastruktur neu bewertet,
- die weitere Entwidmung von Bahnstrecken in Bayern bis zur Vorlage der
genannten Gutachten zurück zu stellen,
- den weiteren Verkauf von Bahngrundstücken und -immobilien im bayerischen
Bahnnetz bis zur Vorlage der genannten Gutachten über alle vorhandenen
Strecken und damit über das Bahnnetz der nächsten Zukunft zu stoppen,
- gemeinsam mit den Kommunen und den Infrastrukturbetreibern auf
Bezirksebene detailliert kleine Maßnahmen zur Verbesserung der
Infrastruktur zu prüfen und zu planen, etwa Elektrifizierungen, Schaffung
von Ausweichgleisen und Durchrutschwegen, Weichenbau etc.,
- gemeinsam mit den Kommunen ein Bahnhofs- und Haltestellensanierungskonzept
vorzulegen, um die Attraktivität von Bahnhöfen und Haltepunkte zu fördern
und Barrierefreiheit im Schienenverkehr zu verbessern,
- Anschlussoptionen an Ballungsräume und den Fernverkehr zu fördern,
- die Einstellung ausreichender Haushaltsmittel zur Finanzierung von
notwendigen Planungen und Investitionen für die Reaktivierung und den
Ausbau von Strecken sowie attraktive Bahnhöfe und Haltestellen. Hierfür
müssen Mittel aus den Straßenbauetats von Bund und Freistaat zugunsten der
Schiene umgeschichtet werden,
- die Landkreise deutlich besser mit Nahverkehrsmitteln auszustatten, um
zügig in allen Landkreisen ein klimaschonendes und bezahlbares,
verknüpftes Angebot zwischen Schiene, Bus und anderen Mobilitätsangeboten
herzustellen und so ganzheitliche Mobilitätskonzepte vom Schienenverkehr
bis hin zur Überwindung der „letzten Meile“ zu entwickeln.
Unterstützer*innen
- Markus Büchler MdL (KV München Land)
- Beate Walter-Rosenheimer MdB (KV Fürstenfeldbruck)
- Kerstin Celina MdL (KV Würzburg Land)
- Stefan Schmidt MdB (KV Regensburg Stadt)
- Uwe Kekeritz MdB (KV Fürth Land)
- Ekin Delogöz MdB (KV Neu-Ulm)
- Paul Knoblach MdL (KV Schweinfurt)
- Patrick Friedl MdL (KV Würzburg)
- Johannes Weiß (KV Schweinfurt)
- Christian Hierneis MdL (KV München)
- Anne Franke MdL (KV Weilheim-Schongau)
- Stephanie Schuhknecht MdL (KV Augsburg)
- Cemal Bozoglu MdL (KV Augsburg)
- Dieter Janecek MdB (KV München)
- Barbara Fuchs MdL (KV Fürth)
- Claudia Köhler MdL (KV München)
- Andreas Krahl MdL (KV GRÜNE WEILHEIM-SCHONGAU)
- Tim Pargent MdL (KV Bayreuth Stadt)
- Martin Stümpfig MdL (KV Ansbach)
- Oliver Rühl (KV Ansbach)
- Eva Lettenbauer MdL (KV Donau-Ries)
- Beate Kubiza-Lun (KV Schweinfurt)
- Christa Drescher (KV Schweinfurt)
- Angelika Sprafke (KV Schweinfurt)
- Bernhard Sprafke (KV Schweinfurt)
- Elmar Rachle (KV Schweinfurt)
- Margret Osterloh (KV Schweinfurt)
- Birgid Röder (KV Schweinfurt)
- Ingrid Turenne (KV Schweinfurt)
- Reginhard von Hirschhausen (KV Schweinfurt)
- Stephan Breitenbach (KV Schweinfurt)
- Jürgen Dorsch (KV Schweinfurt)
- Heiko Kuschel (KV Schweinfurt)
- Florian Tully (KV Schweinfurt)
- Holger Laschka (KV Schweinfurt)
- Benjamin Knoblach (KV Schweinfurt)
Änderungsanträge
- Ä1 (Michael Gerr (KV Würzburg-Stadt), Eingereicht)